Schwer hängt der Nebel über den albanischen Bergen, wie eine Glocke legen sich tief auf dem Land die dörflichen Traditionen zwischen Ziegen, Schnee und scharfen Bergklippen über den Alltag. Frauen dürfen hier weder jagen noch Holzhacken. Und wenn sie zur Hochzeit gebracht werden, haben sie ein Verdeck auf dem Kopf, damit sie den Rückweg nicht mehr finden.
Weil Hana (Alba Rohrwacher) genau diesem archaischen Rollenmuster entgehen will, schwört sie in einer heiligen Zeremonie jeglicher Sexualität ab und wird als Mann „Mark“ zur geschworenen Jungfrau. Was ihr Probleme bereitet, als sie in Bozen ihre Nenn-Schwester Lila (Flonja Kodheli) besucht, die sie einst geliebt hat.
Lars Eidinger als verführerischer Schwimmlehrer
„Vergine giurata“ eröffnet am Donnerstag das kleine Festival „Femminile, Plurale“, das in elf Filmen einen Blick auf das aktuelle Schaffen italienischer Filmemacherinnen wirft. Das mehrfach ausgezeichnete Drama von Laura Bispuri aus dem Jahr 2015 überrascht nicht nur mit einem kleinen Auftritt von Lars Eidinger als verführerischem Schwimmlehrer, sondern hat Themen im Blick, die auch in anderen Werken der kleinen Reihe eine große Rolle spielen.
Mit der Fremdheit im eigenen Körper und dem Hinterfragen der eigenen Sexualität beschäftigen sich etwa die Dokumentarfilme „Fuoristrada“ von Elisa Amoruso, die von einem Automechaniker erzählt, der zu einer Frau werden möchte, und „Normal“ von Adele Tulli, die klassische Genderrollen hinterfragt.
Homosexualität als Kompensation
Valeria Golino, eine der bekanntesten Schauspielerinnen Italiens, verpackt dagegen in „Euforia“ das Thema Homosexualität in ein bewegendes Brüderthema mit den großen Themen Tod und Familie: Der schwule, umtriebige Geschäftsmann Matteo (Riccardo Scamarcio) stürzt sich dabei mit Furor in die Rettung seines todkranken Bruders Ettore (Valerio Mastandrea) – als Kompensation für seine nicht akzeptierte Homosexualität, wie manche glauben.
Ein weiteres Thema sind die Auswirkungen familiärer, geographischer und in Italien immer auch kirchlicher Traditionen auf den Alltag des Einzelnen. So bringt in Laura Samanis Drama „Piccolo Corpo“ Agata (Celeste Cescutti) im Friaul um 1900 ein totes Baby zur Welt. Als der Priester dem ungetauften Kind die Beerdigung verweigert, reagiert Agata.
Und in „Il corpo della sposa“ von Micchela Occhipinti muss eine junge Frau vor der Heirat einer mauretanischen Tradition gemäß zunehmen, damit sie ihrem Ehemann gefällt – findet aber vielmehr sich selbst.