Wir haben Olga Kurylenko auf dem Filmfestival von Venedig getroffen. In einem provisorischen Café auf dem Lido, direkt neben der Anlegestelle. Die Sonne knallt uns auf den Kopf. Immer wieder hupen und tuten die Vaporettos im Hintergrund, was uns später beim Abhören der Aufnahme noch gehörig Schwierigkeiten bereitet. Aber anfangs ist gar nicht klar, ob das Gespräch überhaupt noch geführt wird. Denn wer erst mal gar nicht kommt, ist der Star selbst.
Das kennen wir schon von der ukrainischen Schauspielerin. So war das auch, als sie 2008 in Berlin den Bond-Film „Ein Quantum Trost“ vorgestellt hat. Sofort kommen da alle möglichen Klischees über Ex-Models hoch: dass sie Stunden vor dem Spiegel stehen müssen. Und wirklich, als sie dann endlich erscheint, ist sie perfekt geschminkt und gekleidet. Aber dann entpuppt sich die Frau mit der zierlichen Figur als ausgesprochen offen und charmant. Und alle Klischees über oberflächliche Modemädels gehen in der Lagune baden.
Berliner Morgenpost: Frau Kurylenko, Sie müssen Ihren Film „To the Wonder“ ganz allein promoten. Ohne andere Schauspieler. Vor allem aber ohne Ihren Regisseur Terrence Malick, der extrem publikumsscheu und auch sonst sehr eigen ist. Fühlt man sich da etwas auf verlorenem Posten?
Olga Kurylenko: Ach, man gewöhnt sich daran. Es kann nicht schlimmer sein als bei meinem Bond-Film.
Aber wollen bei einem Bond nicht alle nur Daniel Craig sprechen?
Glauben Sie mir, ich hatte genug zu tun. Ich bin für diesen Film um die halbe Welt gereist und habe so viel Pressearbeit gemacht, dass mich jetzt nichts mehr überraschen kann. Größer als das, kann nichts mehr werden. Obwohl... wer weiß... Wenn das so weiter geht, wird es das vielleicht einholen. Sagen wir: Es ist genauso intensiv. Ich muss reden, reden, reden.
Das immerhin ist nicht ohne Ironie. Im Film haben Sie ja fast gar nichts zu sagen.
In der Tat. Marina, die Figur, die ich spiele, ist sehr schüchtern, sie sagt nicht besonders viel, auch, weil sie ihrer Liebe in die USA folgt und die Sprache nicht besonders beherrscht. Sie empfindet alles mit ihrem Körper und drückt sich auch so aus. Ihr Mann, den Ben Affleck spielt, kann sich und seine Gefühle aber eben genauso wenig verbalisieren. Und das bringt sie um. Sie ist voller Liebe, sie weiß nicht, wohin damit. Aber in dieser Situation geht sie ein wie eine Blume. Dass ich kaum Dialog hatte, hat mich nicht gestört. Im Gegenteil. Es ist natürlich schwierig, sich nur über den Körper auszudrücken. Aber das war auch der Reiz an dieser Rolle. Wissen Sie, es ist so leicht, einen Text zu lernen und dann abzuspulen. Wenn du etwas ohne Worte ausdrücken musst, dann musst du dir was überlegen, da musst du intuitiv ran. Du musst die Vorstellung dieser Figur wirklich in dir spüren, sonst wird das nichts. Das ist eine ganz andere Herausforderung.
Terrence Malick ist legendär gerade wegen seiner ungewöhnlichen Arbeitsweise. Aber wie funktioniert so ein Dreh ganz ohne Dialog?
Es gab kein Script. Terry hat nur jeden Morgen ein paar Blätter an uns verteilt, um uns zu verraten, was wir so am Tag zu tun hatten. Manchmal waren das auch mal 30 Seiten, und ich war völlig perplex: Hey, wir fangen in einer Stunde mit Drehen an, wann soll ich das denn lernen? Aber er beschwichtigte gleich: Sollst du gar nicht. Er wollte nicht, dass ich das alles sage, sondern dass ich das verstehe, fühle und so auch ausdrücke. Das ist schon sehr ungewöhnlich, aber auch sehr aufregend. Als wir anfingen zu drehen, hatte ich noch oft den Drang zu reden. Aber er meinte: Pscht! Sag’s nicht. Ihm ging es immer um den perfekten Moment. „Die Stille“, sagte er, „ist so viel besser.“ Es ist sein Stil, deshalb sind seine Filme so einmalig und unverkennbar. Die Figuren drücken sich durch Emotionen, durch Gefühlslagen aus.
Was aber auch zu seinem Stil gehört: Er braucht dann Ewigkeiten, um seinen Film zu schneiden. Und nicht jeder ist am Ende noch dabei. Bei „To The Wonder“ haben auch Jessica Chastain, Rachel Weisz, Amanda Peet und Martin Sheen mitgespielt. Aber am Ende sind sie alle rausgeflogen. Sie dürfen sich dagegen glücklich schätzen. Sie sind die ganze Zeit im fertigen Film zu sehen.
Ja, wohl wahr. Das ist halt Terry-Art. Er dreht erst mal wahnsinnig viel Material. Schon beim Drehen haben wir nie gewusst, wo das Ganze hinging, wie es ausgehen würde. Du hast es auch am Ende nicht gewusst. Bei dem, was wir gedreht haben, könnte er fünf verschiedene Filme draus machen. Da waren fünf völlig unterschiedliche Anfänge und Schlüsse dabei, glauben Sie mir. Und um einige ist es wirklich sehr schade, dass er sie nicht verwendet hat. Ich hatte immerhin so ein Gefühl, dass ich Glück haben könnte. Ich war die Erste, die an den Set kam, und die Letzte, die ihn verließ. Alle anderen kamen und gingen. Und Terry versprach mir, es ist die Geschichte dieser Frau. Na, er kann ja viel erzählen. Aber am Ende hat er nicht gelogen.
Haben Sie eine Lieblingsszene in „To the Wonder“?
Oh, ja. Aber die kann ich Ihnen nicht verraten.
Wieso nicht?
Sie wurde rausgeschnitten. (lacht)
Aber die meisten Ihrer Szenen sind geblieben?
Machen Sie Witze? Das müsste dann ein Zehnstundenfilm sein, allein mit dem Material, was er mit mir gedreht hat. Natürlich sitzt du dann im Film und denkst: Wo ist diese Szene geblieben? Oder jene? War ich so schlecht? Das habe ich Terry natürlich auch gefragt. Aber er sagte nur: Ich hatte anfangs einen Fünfstundenfilm geschnitten, dann wurden es vier, dann drei. Da muss natürlich was hinten runterfallen.
Wie groß ist dann die Frustration, wenn man das Endprodukt sieht?
Frustration? Terry ist eine Legende. Da ist es schon eine Ehre, mitspielen zu dürfen. Ehrlich, ich war schon dankbar, fürs Vorsprechen nach Austin fliegen und ihn dort treffen zu dürfen. Ich liebe seine Filme. Und ich fühlte sofort Anknüpfungspunkte, wir haben sehr lange miteinander gesprochen. Und was er für Fragen gestellt hat, das hat mir regelrecht Angst eingejagt, wie präzise man sein kann. Mir ist unklar, wie er wissen konnte, was ich ihm antworten würde. Ich war geschockt, dass er wusste, was ich früher gemacht, was ich für Erfahrungen gemacht habe. Da war so eine Art Telepathie, dass er meinte, genau das habe er sich für die Figur vorgestellt. Ich wusste, ohne es formulieren zu müssen, was er von mir wollte.
Sie spielen eine Russin, die erst in Paris lebt und dann in die USA zieht, sich dort aber nie einlebt, sondern immer fremd und unverstanden fühlt.
Klar, das ist die Gemeinsamkeit. Und der Bezug zur Rolle. Auch ich bin aus meiner Heimat fortgezogen und musste mich in der Fremde zurecht finden, wo ich erst mal die Sprache nicht beherrschte. Ich ging nach Paris, als ich 16 war. Dieses Gefühl der Fremde, das ist mir sehr vertraut. Was mich aber klar von meiner Rolle unterscheidet, ist, dass Marina mit dieser Fremde nicht zurecht kommt. Ich habe das gemanagt.
Haben Sie je davon geträumt, einmal Filmstar zu werden?
Niemals. Das lag einfach außerhalb aller Möglichkeiten. Du träumst nicht von Dingen, die für dich unerreichbar sind. Ich konnte mir ja noch nicht mal vorstellen, je aus der Ukraine zu kommen. Ich komme aus einer sehr, sehr kleinen Stadt, Berdyansk. Ich lebte da mit meiner Mutter und meiner Großmutter. Mein Vater verließ uns, da war ich gerade mal drei. Und dort gab es wirklich gar nichts, vor allem damals. Als dann die Sowjetunion zusammenbrach, wurde es noch schlimmer. Du gehst Brot kaufen, aber es gibt keins, die Regale sind leer. Glauben Sie mir, da träumt man nicht davon, ein Filmstar zu werden.
Sie wurden dann mit 13 von einem Model-Scout entdeckt. In der Moskauer U-Bahn.
Und schon das war eine völlige Unmöglichkeit. Meine Mutter konnte sich Moskau eigentlich gar nicht leisten. Aber sie war Kunstlehrerin und wollte mir Kultur nahebringen. Also sind wir dahin. Es ging nicht darum zu shoppen, verstehen Sie? Wir hatten nur Geld für Essen, Museen – und die U-Bahn.
Ist das nicht etwas, wovor man seine Kinder immer warnt? Lass dich nie in der U-Bahn von einem Fremden ansprechen!
Glauben Sie mir, meine Mutter war genauso skeptisch wie Sie jetzt und hat erst mal überprüft, wie vertrauenswürdig, wie seriös das war.
So kamen Sie auf den Catwalk.
Der erste Scheck, den ich erhalten habe, das waren umgerechnet 30 Dollar. Dafür habe ich mir auf einem Flohmarkt einen dicken Mantel gekauft, um den russischen Winter zu überstehen. So viel zu den Träumen eines Models.
Mit 16 zogen Sie dann nach Paris, in die Modemetropole.
Das hat meine Agentur vermittelt. Und Paris habe ich nie wirklich verlassen. Es ist immer noch mein Zuhause, meine Familie; es ist immer noch der Platz, wo ich die meisten Freunde habe. Wenn ich dort bin, klingelt das Telefon; wenn ich woanders bin, ist das nicht so. Wenn ich sage, ich komme nach Paris, muss ich mir einen regelrechten Stundenplan machen. Das passiert mir in London oder New York nicht.
Jetzt drehen Sie mit Stars wie Ben Affleck, Morgan Freeman oder Tom Cruise.
Ja, das hat zuweilen etwas Surreales, mit so vielen Leuten zu spielen, zu denen du mal aufgeblickt hast.
Haben Sie in Ihrer Jugend Cruise schon in Filmen wie „Top Gun“ gesehen?
Nein. Ich kann mich nicht erinnern, damals überhaupt einen seiner Filme gesehen zu haben. Oder amerikanische Filme im Allgemeinen. Da hast du nur gesehen, was damals so im Fernsehen lief. Und das war nicht immer das Beste, das können Sie mir glauben.
Wie ist es, mit Tom Cruise zu drehen?
Er ist ein toller Schauspieler. Und ein unglaublicher Kollege. Er ist eine große Inspiration. Er geht nicht in seinen Wohnwagen, wenn seine Szene im Kasten ist. Er ist immer am Set und spielt dich auch an, wenn die Kamera nur auf dich gerichtet ist. Das tun wirklich nicht alle.
War das Modeln so etwas wie eine Vorbereitung auf die Schauspielerei – oder ist es eher ein Stigma, ein Handicap?
Irgendwie beides, würde ich sagen. Ein Model gewesen zu sein, ist nicht gerade hilfreich. Manchmal wünschte ich, ich hätte es nicht getan. Denn es hat nichts mit Schauspiel zu tun. Und es gibt natürlich Vorurteile, auch heute noch, dass du nur oberflächlich, nur schön bist, dass man dir gewisse Dinge nicht zutraut. Andererseits kann ich wirklich nicht wünschen, ich hätte es nie getan. Ich bin so dankbar für diese Zeit. Ich bin etwas geworden. Ich kann mich selbst ernähren. Ich hänge von niemandem ab, hab das nie getan. Und das war immer mein Ziel: unabhängig, selbstständig sein. Und nebenbei: Als ich ein Model war, kannte mich niemand. Ich gehörte nie zu den Top-Models, ich war keine Naomi Campbell. Ich hab nur meinen Job getan. Erst als ich die ersten Filme drehte, haben die Leute recherchiert und sich plötzlich für meine Fotos interessiert. Davor war ich einfach nur ein Gesicht.