Berlinale

Juliette Binoche - Die strahlende Jurorin

| Lesedauer: 5 Minuten
Ralf Krämer
Den Hut hat ja eigentlich Dieter Kosslick auf. Am Sonntagabend überlässt er ihn aber Juliette Binoche.

Den Hut hat ja eigentlich Dieter Kosslick auf. Am Sonntagabend überlässt er ihn aber Juliette Binoche.

Foto: Jens Kalaene / dpa

Selbstironisch, offen und mit einer fröhlichen Haltung: Auf den Spuren der Jury-Präsidentin Juliette Binoche.

Berlin. Am späteren Sonntagabend signalisiert bereits auf 300 Metern Entfernung ein Blitzlichtgewitter vor dem Zoo Palast: Juliette Binoche ist angekommen. Sekunden später ist der rote Teppich schon wieder leer. Dafür zeigen sich aufgeregte Zaungäste ihre frisch geschossenen Handyfotos: Juliette Binoche, in einem traumhaften Abendkleid. Hellblau-metallic. Schulterfrei. Sie selbst bleibt das Phantom, das, wie so Journalist vermutet, die Jury dazu verdonnert hat, die Wettbewerbsfilme nicht an ihrem angestammten Platz, in der Mitte des Berlinale-Palastes anzuschauen, sondern irgendwo, an einem geheimen Ort, fernab der Massen.

Vielleicht ja aus Gesundheitsgründen. Schließlich müssen Schauspielerinnen auf Stimme und Körper ganz besonders achten. Andererseits ist noch gut in Erinnerung, dass Meryl Streep vor drei Jahren bei jeder Pressevorstellung in Reihe 17 saß, inmitten von Hunderten potenziell erkälteten Kritikern. Und so stellt sich die Frage: Wer ist Juliette Binoche eigentlich? Wie viel Diva steckt in der mit 54 Jahren wohl jüngsten Grande Dame des europäischen Kinos?

Auch am Sonntag wird sie noch einmal zu erleben sein

„In Abel Ferraras „Mary“ war sie Mary, in „Camille Claudel“ Camille Claudel. In „Godzilla“ war sie... gut!“ Als Anke Engelke die Präsidentin der diesjährigen Jury auf der Berlinale-Eröffnung ankündigte, war ihr wohl die kompakteste Zusammenfassung von Binoches filmischem Schaffen gelungen. Das künstlerische Extrem sucht sie und scheut keine Nebenrollen in Blockbustern. Vor allem hat sie ein Faible für kunstaffine Frauen, deren Stärke sich im Umgang mit schmerzhaften Erfahrungen zeigt.

In ihrem neuesten Film, „Celle que vous croyez“, der an diesem Abend seine Weltpremiere als Berlinale Special feiert, spielt Binoche eine Literaturwissenschaftlerin, die sich auf einem Datingportal für eine 30 Jahre jüngere Tänzerin ausgibt. Safy Nebbous etwas kühl konstruiertes Drama stellt die These auf, dass Künstler schon immer das Recht für sich in Anspruch nahmen, das dank sozialer Medien heute jedem zusteht: sein eigenes Leben, seine Identität aufzuspalten und, zumindest zum Teil, als Fiktion zu existieren.

Juliette Binoche ist mit so einer Parallelwelt aufgewachsen. Als Tochter eines Pariser Schauspielerpaares trat sie in einer Schulinszenierung auf. „Meine Mutter fand mich schlecht, meine Freundinnen waren enttäuscht. Dennoch war ich glücklich. Ich war sicher, dass ich bis zum Ende gehen konnte“, erinnerte sie sich 1988, drei Jahre, nachdem sie bei der Berlinale-Premiere von Jean-Luc Godards „Maria und Joseph“ erstmals auf der Bühne des Zoo Palastes gestanden hatte. Der Rest ist Geschichte, ihre Erfolge sind nicht zu übersehen. Sie erhielt die wichtigsten Preise, in Cannes, Venedig und Berlin. Und 1997 den Oscar für „Der englische Patient“.

Aber sind ihr solche Auszeichnungen überhaupt wichtig, wollte Anke Engelke bei der Eröffnungsgala von ihr wissen. Da war Schluss mit Glamour. „Euer Bär“, fragte Binoche zurück, „ist der wirklich aus Silber?“ Ja, das sei er, wand sich Dieter Kosslick aus der Bredouille, „aber nicht komplett.“ Die stolze Französin hob an, dass die Palmen in Cannes ja aus echtem Gold seien. Ihren Oscar hingegen hätte ihr kleiner Sohn nur einmal abgeknibbelt und siehe da: Unter der Oberfläche ist er grau. Einmal mehr war nicht auszumachen, ob man es mit Binoches heiligem Ernst, mit Selbstironie, Attitüde oder mit allem zugleich zu tun hatte.

Am Sonntagabend erscheint Juliette Binoche dann auf die Minute pünktlich im Zoo Palast 1. Seite an Seite mit ihrem Regisseur nickt sie lächelnd, die Hand auf dem Herzen, in alle Richtungen und schaut sich ihren neuen Film an. Nach dem Abspann übernimmt sie kurzerhand die Moderation, ruft das Filmteam auf die Bühne und betätigt sich auch noch als englische Simultanübersetzerin von Safy Nebbous französischen Grußworten. Das war’s. An diesem Abend ist sie nicht Präsidentin, sondern Teil eines Teams, der strahlendste Teil, versteht sich.

Wer solche Rollenwechsel noch mal erleben möchte, hat dazu am Sonntag um elf Uhr Gelegenheit. Da wird Juliette Binoche die Basis besuchen und im Theaterhaus Mitte, dem rustikalen Zentrum des Freien Theaters, ihren Coach Susan Batson öffentlich interviewen. In Batsons Lehrbuch „Truth – Wahrhaftigkeit im Schauspiel“ hat Juliette Binoche so etwas wie ihr professionelles Credo hineingeschrieben: „Ich glaube an Verwandlung, an das Leben und daran, das Bewusstsein der Menschen durch Kunst zu verändern. Und die Welt zum Besseren zu verändern fängt damit an, das Bewusstsein der Menschen zu verändern.“ Es wäre verständlich, wenn jemand mit einem solchen Glauben versuchen würde, jeden Lebenszeitverlust zu vermeiden, den eine fahrlässig zugelassene Berlinale-Grippe bedeuten könnte.