Kino

Dieter Kosslick: „Wir werden erst mal lüften müssen“

| Lesedauer: 8 Minuten
Peter Zander
Eigentlich wäre die Berlinale 2016 seine letzte gewesen. Aber dann hat Dieter Kosslick noch mal um drei Jahre verlängert

Eigentlich wäre die Berlinale 2016 seine letzte gewesen. Aber dann hat Dieter Kosslick noch mal um drei Jahre verlängert

Foto: Reto Klar

Der Terroranschlag in Berlin hat keine Auswirkungen auf die Berlinale, meint ihr Chef. Diesmal kommen aber weniger Stars aus Hollywood.

Noch drei Wochen, und die 67. Berlinale (9.-19. Februar) beginnt. Das Programm steht schon größtenteils – und hängt auch schon im Büro des Festivaldirektors Dieter Kosslick an der Wand. Die aber wird erst mal verhüllt, bevor wir ins Zimmer dürfen. Denn noch sind nicht alle Details bekannt gegeben, einige Trümpfe behält sich Kosslick noch vor. In unserem Gespräch geht es aber auch weniger um einzelne Filme, sondern darum, ob die Festival-Stimmung nach dem Anschlag auf den Breitscheidplatz getrübt ist und was hinter einem möglichen neuen Standort in einem künftigen Medienhaus dran ist.

Herr Kosslick, wir mussten die Frage schon im vergangenen Jahr, nach den Anschlägen in Paris, stellen. Mit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz ist der Terror jetzt auch nach Berlin gekommen. Wird die Berlinale ihre Sicherheitsmaßnahmen jetzt noch einmal verschärfen?

Dieter Kosslick: Wie in jedem Jahr stehen wir über unsere Sicherheitsabteilung in engem Kontakt mit den zuständigen Sicherheitsbehörden und verfolgen die örtlichen und weltpolitischen Ereignisse sehr genau. Um die Sicherheit der Festivalbesucher und Gäste zu gewährleisten, werden alle dafür notwendigen Maßnahmen, gegebenenfalls auch kurzfristig, umgesetzt. Aber wir bitten um Verständnis, dass wir über weiterführende Maßnahmen keine Auskunft geben können, um deren Wirksamkeit nicht einzuschränken.

Hat der Anschlag, hat die Angst vor dem Terror Auswirkungen auf das Festival? Kommen jetzt weniger Gäste, ist es schwieriger, Stars zu gewinnen?

Natürlich hat uns das tief getroffen. Aber bis jetzt hatte es keine Auswirkungen. Wir werden zahlreiche Stars und prominente Gäste haben. In diesem Jahr ist das Programm nicht von Hollywood dominiert, es gibt ja auch Stars aus anderen Ländern. Aber selbstverständlich wird auch Hollywood mit großen Filmen und Stars dabei sein. Darüber hinaus laufen die Akkreditierungen „wie geschnitten Brot“, wie man so sagt. Man will nach wie vor auf der Berlinale dabei sein. Ich hatte gedacht, dass es vielleicht Einbrüche beim Europäischen Filmmarkt geben könnte. Aber auch da hat niemand abgesagt. Im Gegenteil, der Martin-Gropius-Bau wird jetzt sogar um einen kleinen „Gropius Park“ erweitert.

Findet sich das Thema Terror denn auch in einigen Beiträgen wieder?

Das Thema Terror findet sich schon seit vielen Jahren in unserem Programm. Die jüngsten Anschläge in Europa spiegeln sich nur indirekt darin. Aber es gibt auch anderen, nicht nur politisch motivierten Terror. Es gibt viel Gewalt in lateinamerikanischen Filmen, u.a. auch in Mexiko, unserem diesjährigen Gastland im European Film Market. Gewalt ist eines der Themen der diesjährigen Berlinale. Offensichtlich sinkt derzeit überall die Hemmschwelle. Die Geschichte von „The Dinner“ mit Richard Gere thematisiert brutale Gewalt, wie es sie auch in Berlin gibt. Aber Gewalt ist nicht das Hauptthema des Festivals.

Sondern?

Der Verlust der großen Utopien. Viele Filme zeigen die Frustration, dass die großen Utopien wie Kommunismus und Kapitalismus gescheitert sind. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Die Ausbeutung hat nicht abgenommen, in Afrika sind das nun nicht mehr die Kolonialherren, sondern die Investoren. Wenn man sich all das ansieht, wundert man sich eigentlich nur, warum es nicht noch viel mehr Flüchtlinge gibt. Und man muss gar nicht so weit weg gucken. Ich glaube, in unserem Land wählen auch viele ganz komische Parteien, weil sie von Utopien enttäuscht sind. Da geht es nicht nur um Flüchtlinge, sondern auch um Klassenkampf.

Die Berlinale 2016 war ein extremer ­Erfolg. Meryl Streep als Präsidentin, ein Coen-Film mit George Clooney zur Eröffnung, Michael Ballhaus als Hommage-Star. Wie kann man das noch toppen?

Man kann bestimmte Dinge nicht mehr toppen. Meryl Streep kann man nicht mehr toppen, nach der Rede bei den Golden Globes erst recht nicht. Man konnte auch Scorsese mit den Rolling Stones zur Eröffnung nicht toppen. Aber man kann immer wieder ein anderes Programm kuratieren. Der Jury-Präsident in diesem Jahr ist Paul Verhoeven, der noch nie auf der Berlinale vertreten war, das Festival aber natürlich kennt. Der repräsentiert viele Stile, die es gibt im Kino. Irgendwie passt auch eine Sensationsknüller-Berlinale nicht richtig in unsere Zeit. Es ist die Zeit der Reflexion, des Nachdenkens.

2016 eröffneten Sie mit einem Hollywoodfilm, diesmal mit einem Regiedebüt aus Frankreich. Ist das ein kühnes Experiment oder konnte da ein potenzieller Kandidat am Ende doch nicht?

Man kann nicht immer nur Riesenfilme zur Eröffnung präsentieren. Es gibt auch andere Formate. „Django“ handelt vom Leben Django Reinhardts, einem Weltstar, einem der größten Gitarrenvirtuosen, einem der legendärsten Sinti-Jazzmusiker, und das, obwohl er nur mit zwei Fingern spielen konnte. Django wehrte sich gegen Repression und überlebte. Es geht um Verfolgung und Flucht, es geht um das große europäische Thema des vergangenen Jahrhunderts und leider auch unserer Ge-genwart. Es ist nicht Hollywood, aber doch ein sehr guter Eröffnungsfilm. Irgendwie schließt er an den Coen-Film an. Das Drama spielt halt mal nicht in Hollywood, sondern mitten in Europa.

Noch während der Berlinale startet in den deutschen Kinos Denzel Washingtons „Fences“, kurz danach der neue Martin- Scorsese-Film „Silence“. Hätten die nicht auch auf die Berlinale gemusst?

Selbstverständlich. Aber es geht halt nicht immer so, wie man gerne möchte. Scorsese wäre gern gekommen, und auch Denzel Washington. Es hat wegen der Kinostarts nicht geklappt. Schade, aber Hollywood ist ausreichend auf der diesjährigen Berlinale vertreten.

Außerhalb der Berlinale steht der Berlinale-Palast seit kurzem leer. Ist das ein komisches Karma für das Festival?

Das ist kein gutes Karma, einen leeren Raum zu bespielen. Aber wir nehmen das mal nicht so zur Kenntnis. Zwischendurch hat es ja schon die Bambi-Verleihung gegeben. Sicher, es ist eine neue Situation. Und das könnte ja noch bis 2022 gehen, so lange läuft der Vertrag des Mieters. Unser Vertrag mit dem Haus läuft bis 2018. Aber der Palast wird während der Berlinale so sein, wie er immer ist. Wir werden ihn vorher nur lüften müssen.

Der Vertrag läuft 2018 aus, Ihre letzte Berlinale als Festivaldirektor ist 2019. Schauen Sie sich nach Alternativen um? Sie haben ja schon mal angedeutet, dass Sie sich auch einen anderen Standort als den Potsdamer Platz vorstellen könnten.

Ja, das sind die Schicksalsjahre eines Direktors, um mal kokett „Sissi“ zu zitieren. Mein Bestreben ist natürlich, ganz unabhängig von meinem Vertrag, dass unser Unternehmen, das enorm gewachsen ist, Stabilität hat. Nicht nur finanziell, auch örtlich. Wir sind in guten Gesprächen, dass das hier weiter geht. Aber es gibt keine Garantien. Deshalb muss man sich natürlich umschauen. Das wissen unsere Vermieter hier auch.

Derzeit steht ja auch die Idee eines Medienhauses im Raum, was Klaus Sievernich und Monika Grütters propagieren. Auch Sie sind ein Befürworter?

Das wäre eben eine Alternative zum Standort Potsdamer Platz. Dass die Berlinale mit dem Filmmuseum und der Deutschen Film- und Fernsehakademie neben den Martin-Gropius-Bau zieht. Dahin, wo wir jetzt schon den Gropius-Park eröffnen. Man würde dann auf geschichtsträchtigem Grund stehen. Da ist die Nazi-Geschichte, aber auch das, was davor da stand. Auf dem Gelände des Gropius-Parkplatzes stand das Völkerkundemuseum, das genau die Diversität repräsentiert hat, um die es uns auch bei der Berlinale geht. Wir versuchen aus logistischen Gründen, möglichst lange am Potsdamer Platz zu bleiben. Aber wenn es eine Alternative gebe, dann wäre das ein großer Wurf. Und das könnte man auch relativ schnell umsetzten. Das wäre dann sozusagen ein aktives Völkerkundemuseum. Oder das audiovisuelle Humboldt-Forum.