Die Stars müssen ihre Koffer eigentlich gar nicht packen. Denn einen Gast der Berliner Filmfestspiele stellte Dieter Kosslick bereits am Montag bei der rituellen Berlinale-Pressekonferenz vor: Marlene Dietrich.
Jawohl, Marlene Dietrich gehört seit jüngstem zum Team der Filmfestspiele am Marlene-Dietrich-Platz. Dass der Weltstar seit 21 Jahren tot ist, tut nichts zur Sache: Der Festivalchef bat Marlene nach vorn und stellte sie der erstaunten Presse-Schar vor.
Sie ist blond, blutjung, arbeitet seit kurzem in der Presseabteilung. Und heißt wirklich so. Auch wenn sie mit dem echten Filmstar nichts zu tun hat.
Die junge Dame konnte einem ein bisschen leid tun, weil sie sichtlich genierte. Aber es ist ja auch mutig, mit solch einem Namen ins Filmbusiness einzusteigen.
Das schreit geradezu nach einer Erklärung. Wer in den kommenden Tagen also beim Festival anrufen sollte und es meldet sich eine Stimme: „Berliner Filmfestspiele, Marlene Dietrich“, darf sich nicht wundern.
Immer dieselben Gesichter
Die Berlinale-Pressekonferenz, das gab Kosslick gleich mit ironischem Augenzwinkern zu, habe eigentlich etwas mit einer Parteitagssitzung der KPdSU gemein. Immer wieder dieselben Gesichter. Nur die Filme seien anders.
Erfahrungsgemäß sind alle Pressemitteilungen längst verschickt, alle Filme, die im Programm laufen, längst bekannt. Aber diesmal konnte Kosslick doch noch mit einer echten Neuigkeit aufwarten. Auffallend lange war von der Internationalen Jury ja nur deren Präsident bekannt, Wong Kar-Wai. Wer aber seine sechs Mit-Geschworenen sind, das blieb bis zuletzt geheim.
Wer schon geglaubt hatte, Kosslick habe es bis zuletzt herausgezögert, weil er keine prominenten Beisitzer zusammen bekomme, der sah sich getäuscht. Die Jury kann sich mehr als sehen lassen. Neben dem Kultfilmer aus Hongkong werden unter anderen der deutsche Filmregisseur Andreas Dresen, seine dänische Kollegin, Oscar-Preisträgerin Susanne Bier und Hollywoodstar Tim Robbins über die Bären entscheiden (siehe Kasten).
Ein Jahr der starken Frauen
Und das wird hart: 19 Filme laufen im Wettbewerb, unter anderem der deutsche Western „Gold“ mit Nina Hoss als Goldgräberin, eine Neuverfilmung von Denis Diderots Skandalroman „Die Nonne“ mit Isabelle Huppert und ein Drama um das hochaktuelle Thema Fracking, der umstrittenen Methode der Erdgasgewinnung, in Gus Van Sants „Promised Land“. Erstmals wird auch Til Schweiger offizieller Gast auf der Berlinale sein: Er spielt neben Shia LaBeouf und Evan Rachel-Wood in der US-Produktion „The Necessary Death of Charlie Countryman“. Und der iranische Regisseur Jafar Panahi hat trotz Berufverbotes zuhause einen neuen Film, „Parde“, gedreht, was für einigen Wirbel sorgen dürfte.
404 Filme aus 70 Ländern laufen diesmal im Programm, das sind noch einmal fünf mehr als vor einem Jahr. Gezeigt werden sie in 878 öffentlichen Vorführungen (noch einmal 12 mehr als 2012). Im European Film Market kommen noch einmal 790 weitere Titel hinzu, die indes nur einem Fachpublikum zugängig sind. Macht sage und schreibe 1194 Filme in elf Tagen, also 108,5 Filme pro Tag. Da hat der Festivalbesucher wie immer die Qual der Wahl und muss sich im prallvollen Berlinale-Programm, das seit gestern ausliegt, einen Überblick verschaffen.
Kampf gegen ein gnadenloses System
Das freilich ist ein Schicksal, das auch viele Filmfiguren erleiden. Nachdem in den vergangenen beiden Jahren die Finanzkrise ein großes Thema war (wie etwa in „Margin Call“), werden in den Filmen dieses Jahrgangs die Kollateralschäden spürbar, die sie in der Gesellschaft ausgelöst haben. Der Einzelne muss hier in gleich mehreren Beiträgen gegen ein gnadenloses System ankämpfen. Ein weiterer roter Faden sind starke Frauen. Sie sind es vorwiegend, die hier ihren Mann stehen müssen.
Und so kann man sich auf dem Roten Teppich auf reichlich Frauenpower freuen: Frankreich schickt sein Dreigestirn Catherine Deneuve, Juliette Binoche und Isabelle Huppert. Aus den USA kommen Anne Hathaway, Holly Hunter und Jane Fonda, aus China Zhang Ziyi und Deutschland wird durch Nina Hoss und Martina Gedeck vertreten. Die erfreuliche Nachricht: Gleich drei Regisseurinnen dürfen ihre Werke im Wettbewerb zeigen, nach dem Chauvi-Jahr in Cannes, in dem keine einzige Regisseurin vertreten war, ist das ein wahrer Segen.
George Clooney „jederzeit willkommen“
Auch an männlichen Stars fehlt es nicht. Zugesagt haben unter anderen Nicolas Cage, Matt Damon, Geoffrey Rush, Ethan Hawke, Joseph Gordon-Levitt, derzeit heißeste Nachwuchshoffnung in Hollywood, und Christopher Lee, der mit 90 Jahren der mit Abstand älteste Gast auf dem Festival. Neben den Filmstars gilt es auch einen echten Popstern zu bewundern: Rufus Wainwright stellt einen Konzertfilm zum Andenken seiner verstorbenen Mutter vor. Ob auch Frauenschwarm George Clooney auftauchen wird, ist dagegen unklar. Er tritt in keinem Film auf, hält sich aber bekanntlich derzeit in Berlin auf und sei, so ließ Kosslick ausrichten, „jederzeit willkommen“.
Dass der Jurypräsident Wong Kar-wai gleich auch den Eröffnungsfilm präsentiert, ist eine Merkwürdigkeit, die zu manchen Gerüchten und Spekulationen geführt hat: dass Kosslick auf ein anderes prominentes Pferd gesetzt hat, das kurz vor Schluss dann doch noch durchgegangen ist. Nun ist ein Wong Kar-Wai niemals eine Verlegenheitslösung, das historische Kung-Fu-Drama „The Grandmaster“ darf mit Spannung erwartet werden.
Aber auch sonst gibt es keinen Mangel an renommierten Regisseuren: Ob Steven Soderberg oder Bille August, Jane Campion oder Ken Loach, Michael Winterbottom oder Isabel Coixet, sie alle sind mit Werken vertreten. Und wer keinen Film mitbringt, der gibt wenigstens seine Erfahrung weiter: im Talent Campus nämlich. Hier werden unter anderem Paul Verhoeven, Walter Murch, noch einmal Nina Hoss und Anita Ekberg, jawohl, die ewige Brunnen-Nixe, Master-Klassen geben.
Ehrenbär für Claude Lanzman
80 Jahre nach der Machterschleichung der Nationalsozialisten gedenkt das Festival gleich doppelt an diese brachiale Zäsur: Der Ehrenbär geht in diesem Jahr an Claude Lanzman für seine legendären Dokumentationen über die Shoah. Es ist dies der erste Ehrenbär überhaupt, der an einen Dokumentarfilmer geht.
Und die Retrospektive „Touch of Weimar“ zeigt, welchen Aderlass die Nazis im hiesigen Film verursacht haben, wie die goldene Phase des Weimarer Films aber das internationale Kino befruchtet und beeinflusst hat. Dort ist unter anderem der Klassiker „Casablanca“ mit Ingrid Bergman zu sehen, den ihre Tochter Isabella Rossellini vorstellt. Und auch der Orson-Welles-Klassiker „Im Zeichen des Bösen“ mit Marlene Dietrich. Diesmal der echten.