Erich Marx ist Berlins dienstältester Sammler. Für das Museum der Moderne hat er lange gekämpft. Nun will er aufhören zu sammeln. Ein Treffen im Hamburger Bahnhof.
Manchmal ist er noch bei seinen Bildern. Bei Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Cy Twombly und Joseph Beuys. Wenn er „freundschaftliche Führungen“ durch seine Sammlung macht. Erich Marx hat seine Bilder über Jahre „schon im Kopf“. Da ist er ganz anders als das Sammlerehepaar Ulla und Heiner Pietzsch, die beiden leben in ihrer Villa mit ihrer Kunst wie in einem Museum. Sie frühstücken mit ihren Künstlern.
Wir sitzen mit Erich Marx im Café von Sarah Wiener im Hamburger Bahnhof. Das Aufsichtspersonal grüßt den stillen, weißhaarigen Berliner Großsammler, auch die Kellner scheinen ihn zu kennen. Das „kleine Ding mit Schoko“ aus der Vitrine möchte er, gemeint ist ein Minigugelhupf und eine Tasse Kaffee.
Gebrauchsanweisung für Kunst
Er erzählt, dass er am Ende seiner Rundtour durch die Sammlung seinen Gästen eine Art Gebrauchsanweisung mitgibt – für den Umgang mit zeitgenössischer Kultur. „Sie müssen“, sagt er ihnen, „neugierig sein, neugierig darauf, was hinter dem Kunstwerk steckt. Zweitens: Sie müssen tolerant sein, tolerant gegenüber dem Werk und den Künstler. Das ist eine andere Welt.“
Erich Marx ist 94 Jahre, da bekommen manche Dinge eine andere Gewichtung. Angefangen zu sammeln hat er in den 70er-Jahren. Von Eugen Schönebeck kaufte er damals gleich eine ganze Ausstellung auf. Gemälde mit kaputten, zerschundenen Körpern, für die sich damals kaum einer interessierte und die heute für mehrere Hunderttausende Euro ihren Besitzer wechseln. Damals murrten sogar Marx’ Mitarbeiter, dieses Elend wollten sie partout nicht im Büro hängen haben. Und dann hörte der exzentrische Maler einfach auf zu malen und lebt von dem Geld des Verkaufs. Bis heute, hat Erich Marx gehört.
Zeiten ändern sich, die Preise auf dem Kunstmarkt auch. „Idiotische Preise“, sagt der ehemalige Unternehmer und studierte Jurist. Er erzählt, dass ihm jemand Warhols großen „Mao“ abkaufen wollte, einfach so. Ein Anruf, 120 Millionen Euro, ohne großes Geschrei – weg wäre er gewesen. Doch „Mao“ hängt im Hamburger Bahnhof, ohne Erich Marx’ Bilder – unbefristete Dauerleihgaben – wäre das Museum nicht das Haus, das es ist. „Mao“ ist wie eine Visitenkarte, und Marx lässt sich davor gerne fotografieren.
Ob er verkauft?
„Hören Sie auf! Das ist schrecklich.“
Warum?
„Ach, ich hänge so dran, innerlich. Die Kunst war ein Teil meines Lebens, eines ausgefüllten Lebens.“
Die irre Preisspirale auf dem internationalen Kunstmarkt komme daher, sagt Marx, dass „Kunst ein Teil des gesellschaftlichen Lebens in extremer finanzieller Größe“ geworden ist. In Amerika sei das noch viel schlimmer. Die einen behalten die Kunst für sich, andere tauschen aus, aber eben nur wenige. Kürzlich hat Marx „Kapital“ gekauft, eine wichtige Installation von Joseph Beuys, eine zweistellige Millionensumme ging da drauf. Als er die Zahl hörte, musste er sich „hinter den Ohren kratzen“. Den Künstler mit dem Filzhut kannte er gut, gleicher Jahrgang, gleiche Luftwaffeneinheit. Mit dessen Exsekretär und Kunsthändler Heiner Bastian hat er später auch seine Sammlung zusammengestellt. Davor sammelte Marx eher aus einer „emotionalen Zufälligkeit“ heraus. Ach, er könnte Geschichten erzählen. Jedenfalls soll das „Kapital“ in das geplante Museum der Moderne gehen.
Die letzten zwei, drei Jahre war er mit dem Thema Museum beschäftigt, „meine Aufgabe“ nennt er es. Kommt das Haus oder nicht? Sigismundstraße oder Potsdamer Straße? In dem Alter will man die Dinge geordnet haben, da geht es dem Ehepaar Pietzsch ähnlich. Zusammen mit den beiden und dem dritten großen Sammler Egidio Marzona schrieb er vor zwei Jahren einen Brief an Preußenchef Parzinger. Falls es zum Standort Sigismundstraße gekommen wäre, da waren sich die drei einig, wollten sie ihre Zusage zum Umzug der jeweiligen Kollektion ins Museum der Moderne zurückziehen. „Ich wollte nicht“, sagt Marx, „dass meine Kunstwerke eingepfercht sind zwischen der Nationalgalerie und Wohngebäuden, da verliert sie sich.“ Doch jetzt ist klar: Der Wettbewerb für die Potsdamer Straße soll Ende des Jahres ausgeschrieben werden.
Pläne für Investorenmodell
Bevor Finanzminister Schäuble überraschend die 200 Millionen Euro für das Museum bewilligte, gab es auch Pläne für ein Investorenmodell, einen privaten Bauherrn, der die Museumsimmobilie nach Fertigstellung der öffentlichen Hand überlässt. „Das geht schneller und ist preiswerter“, meint Marx. Die Planung sei fertig gewesen.
In Berlin gibt es einen Sammlertypus, der sich – wie etwa Thomas Olbricht oder Christian Boros – gleich mit einem eigenen Museum verewigt. Hat er nie dran gedacht? Er war selbst in der Baubranche, da wäre es ein Leichtes gewesen, so etwas auf die Beine zu stellen. „Nein …“, sagt Marx. „… nein … nein …“ Er sagt das langsam, aber bestimmt, man sollte ihm das glauben. Eine Sammlung bedarf einer Betreuung, das wollte er nicht übernehmen. Und wer hätte das bezahlt? So steckte er das Geld lieber in den Kauf von Bildern. Zumal er die Auffassung vertritt, das Kunst, die gut ist, unbedingt in die Öffentlichkeit muss. „Hören Sie“, sagt er, „das gehört doch nicht einem einzigen Mensch!“ Aber: „Museen sollten sehr vorsichtig sein, mit dem, was sie als Sammlung bereit sind aufzunehmen.“
Er weiß, die Beziehung von Museen zu ihren Sammlern sind nie einfach, während die Institutionen auf Unabhängigkeit pochen, wollen die Sammler Einfluss und Mitspracherecht. Auch im Hamburger Bahnhof gab es vor einigen Jahren Turbulenzen. Erich Marx drohte, Mao und Co. abzuziehen. Er befürchtete, dass seine Kollektion nicht die Position erhält, die er für richtig hielt. Ach, sagt er nun, das sei eigentlich nie seine Absicht gewesen. Vielleicht werden Sammlerseelen mit den Jahren gelassener.
Drei Kinder hat Marx, sie leben in der Schweiz, aber mit seiner Kunst war er immer alleine. Nur sein Sohn sammelt, mit der gleichen inneren Haltung, meint Marx. Allerdings Autos. „Er gibt auch keins her.“
Das „Kapital“ sei das letzte Werk, dass er gekauft hat. „Ich beende meine Sammlertätigkeit!“ Widerspruch zwecklos: „Hören Sie, ich bin 94 Jahre, das dürfen Sie nicht vergessen.“