Umjubelte Premiere: Die Komische Oper zeigt Mozarts „Zauberflöte“ als Zeichentrickfilm. Das Publikum amüsiert sich prächtig.

Die Produktion der „Zauberflöte“ an der Komischen Oper ist auch eine Hommage an legendäre Stummfilmfiguren wie Buster Keaton und Nosferatu. Die Opernsänger spielen gegen übergroße Animationen auf der Leinwand an.

Prinz Tamino rennt um sein Leben, hinter ihm her ist ein riesiger Drache. Plötzlich wird das Untier von kleinen Pfeilen gejagt wie von kleinen Cruise missiles. Es geht hin und her. Dann ist der Drache erlegt. Und das Publikum kichert. In der Komischen Oper wird Mozarts „Zauberflöte“ einmal ganz anders gezeigt, in einer Mischung aus Stumm- und Zeichentrickfilm.

Die Sänger spielen gegen übergroße Animationen auf der Leinwand an. Zu sagen haben sie in dieser Premiere wenig, es gibt keine Dialoge mehr zwischen den Darstellern, dafür erscheinen wie im Stummfilm auf der Leinwand die weiter führenden Hinweise in alter Schrift.

Die Neuinszenierung lebt auf den ersten Blick von der technischen Neuheit, vom Innovativen, von einer faszinierende Bilderflut, aber genau genommen wird die Leinwand nur gebraucht, um ganz viel Nostalgie zu verströmen. Hausherr Barrie Kosky hat sich als Produzenten - man scheut sich etwas, Opernregisseure zu sagen – Suzanne Andrade und Paul Barritt von der Performancegruppe „1927“ geholt.

Die Jahreszahl ist irgendwie auch das Motto dieses Opernabends: 1927 erblickte der erste Tonfilm das Licht der Kinowelt. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass der Papageno mit seinem flachen Hut an Buster Keaton erinnert, der schwarze Monostatos an Nosferatu, die Pamina an Bubikopf-Stummfilmstar Louise Brooks. Alle schlüpfen sie in ihre Rollen aus einer untergegangenen Stummfilmwelt.

Ein Hauch von Glamour

Aber der Eindruck täuscht. Wer sich dieser Tage in Berlin die Werbeplakate anschaut, wird auch das von den Szenestars Ursli & Toni Pfister in der Bar jeder Vernunft entdecken. Verkörpert werden von ihnen Peter Alexander und Mireille Mathieu. Wer sich Tamino und Pamina auf der Bühne der Komischen Oper anschaut, wird genau diese beiden Showlegenden aus Kindertagen dort wiederfinden.

Zweifellos hat sich die Unterhaltungsindustrie das 20. Jahrhundert ihre eigenen Archetypen geschaffen, wozu der elegante Smoking-mit-Fliege-Mann und die bubiköpfig selbstbestimmte Frau gehören. Es sind zugleich Typen, die der Weltflucht dienen. Genau das führt die neue „Zauberflöte“ vor, es geht um nichts anderes als vergnügliche, unterhaltsame, staunenswerte Traumbilder. Und einen Hauch von Glamour.

Suzanne Andrade und Paul Barritt überwältigen einen geradezu mit ihrer Fantasie, ihren Bildern, ihren tausend kleinen comicartigen Gags. Die Königin der Nacht ist eine böse Spinnenfrau. Koloratursopranistin Julia Novikova ist nicht im Geringsten wieder zu erkennen. Sie vollführt ihre Tonsprünge hinauf in die Höhe voll kühler Akkuratesse. Sarastro offenbart sich als eine Art Gründerzeit- Fabrikdirektor, der über ein Reich voller Maschinenmenschen und –tiere herrscht.

Dem Menschen sind am industriellen Fließband Verstand und Weisheit einzuimpfen. Aber Christopf Fischesser tut sich schwer, die heilgen Hallen mit einer Stimmmacht zu füllen. In dieser Szene blicken das Publikum von der Leinwand herunter viele Augen an. Es sind weniger die freimaurerischen Augen der Vorsehung, mehr der Bedrohung. Zu den Finsteren gehört auch der vampiristische Monostatos, dem Stephan Boving kaum mehr als eine Schattenhaftigkeit verleihen kann. Die Inszenierung lebt von den Stimmungen, weniger von den handelnden Figuren.

Burlesquetanz im Glas

Diese „Zauberflöte“ will vor allem auch lustig sein. Wenn der Weisheits-resistente Vogelfänger Papageno gewissermaßen vom wilden Leben und Frauen träumt, dann räkeln sich auf der Leinwand knapp bekleidete Elefantendamen in Gläsern wie die Burlesquetänzerin Dita von Teese. Der Lebensmüde wird wie im Comic auch eine Bombe anzünden. Und es geht schief. Sie explodiert mit der Aufschrift „Ka-Booom“. Das sichtlich ramponierte Liebespärchen findet trotzdem zueinander, das gestotterte „Pa-pa-pa“ bekommt eine völlig neue Bedeutung.

Solche Jokes macht diese Zeichentrickoper möglich. Dominik Köninger gibt dem Papageno ein neues Profil, das an das stoische Komikeridol Buster Keaton anknüpft. Köninger verleiht Papageno mit seinem sonoren Bariton deutlich mehr Gewicht, mehr traurige Eleganz als üblicherweise zu hören. Eine wundervolle Rollendeutung. Ganz in schwarzweißem Smokingchic präsentiert sich Tenor Peter Sonn, er singt seinen Tamino explosiver, denn lyrisch schmachtend aus. In dieser Inszenierung geht es um nichts als sich selbst und schon gar nicht um echte Liebe.

Aber halt! Eine Sängerin fällt aus der Rolle. Als Maureen McKay ihre Pamina-Arie „Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden“ zu interpretieren beginnt, scheint sie sich gleichsam aus der Leinwand herauszulösen und auf das Publikum zuzugehen. Es ist einer der wenigen berührenden Momente an diesem Abend. Und es macht deutlich, dass die Gattung Oper eben doch von der vierten Dimension lebt: Die mehr oder weniger zugestellte Guckkasten-Bühne namens Theater braucht die Dreidimensionalität , um die Fantasie, den Geist zu beflügeln, die vierte Dimension gehört der Musik und soll das Herz erreichen.

Die neue „Zauberflöte“ lebt von der Zweidimensionalität der Leinwand. Dem kann sich auch das Orchester der Komischen Oper unter Leitung ihres neuen Generalmusikdirektors Henrik Nanasi nicht wirklich entziehen, die mit Mozart streckenweise eine affektive Filmmusik abzuspulen haben. Überwältigend ist diese Produktion allemal, das Premierenpublikum ist einhellig begeistert. Und natürlich kann man aus jeder Oper einen köstlichen Animationsfilm machen und auf die große Bühne bringen. Ein Zukunftsmodell für Opernhäuser ist es aber nicht. Es lebt von der einmaligen Überraschung. Die ist an der Komischen Oper gelungen.