Berlin. James Blake hob mit seiner Metallskulptur auf dem Rücken zwar nicht ab, jedoch brachte er das Velodrom in Berlin zum Vibrieren.
Mailand, Brüssel, zweimal Paris, Berlin, Tilburg, London. Es gibt in diesem Herbst nicht viele Gelegenheiten, James Blake auf seiner “Playing Robotos into Heaven”-Tour in Europa zu sehen. Die einzige Deutschland-Show führte ihn am Sonntagabend ins Ufo im Velodrom, zwei Tage vor seinem 35. Geburtstag.
Ehe die etwa 3000 Fans den echten James Blake zu sehen bekommen, erscheint er in einem grobkörnigen Einspielfilm, der Titelsong des aktuellen Albums, ein Ambient-Track in bester Brian-Eno-Tradition, läuft dazu vom Band. Auf seinem Rücken trägt Blake eine ausladende Metallskulptur – halb Propeller, halb Schalltrichter.
Dann kommt der Brite mitsamt dieses sperrigen Trichter/Propeller-Aufbaus auf die Bühne, allerdings mit beiden Beinen auf dem Boden. Auch wenn weitere Einspielfilme im Laufe des Abends suggerieren, dass Blake mit Hilfe dieser Maschine womöglich fliegen kann. So weit kommt es in den nächsten 90 Minuten zwar nicht, doch im Verbund mit seinen langjährigen Tourmusikern Rob McAndrews (Gitarre/Keyboards) und Ben Assiter (Drums) sorgt Blake dafür, dass zumindest einige seiner Songs abheben.
James Blake lässt den Fußboden im Velodrom vibrieren

“Asking to Break”, eines von neun neuen Stücken, eröffnet den Auftritt. Es ist eine dieser typischen Blake-Balladen mit samtweichem E-Piano und brüchigem Falsett-Gesang, die nach und nach mit Knister-Elektronik aufgeladen und unter Spannung gesetzt wird. Die Drums sind deutlich weiter nach vorne gemischt als auf den Studioalben, das merkt man erst so richtig beim zweiten Track “I Want You to Know”, der als vermeintlich harmlose Ballade beginnt und sich Stück für Stück in ein technoides Monster verwandelt. Dazu loopt Blake seine Stimme und scheucht sie durch alle möglichen Stadien der Autotunes-Verfremdung.
“Limit to Your Love”, das Feist-Cover vom Debütalbum, veredelt Rob McAndrews mit deart fetten Synthesizer-Bässen, dass der Song auch körperlich zu spüren ist, der Fußboden im Velodrom vibriert vernehmlich. Die zweite Cover-Version des Abends ist “Godspeed” von Frank Ocean, einmal nur Chorknaben-Stimme und Klavier pur, ganz ohne Verfremdungseffekte.
Mit “Retrograde” (mit den sirenen-artigen Synthie-Fanfaren), “Voyeur” und “Life Round Here” serviert Blake gleich drei Klassiker vom “Overgrown”-Album, das 2013 mit dem Mercury-Prize als bestes britisches Album des Jahres ausgezeichnet wurde. In der Dekade danach war Blake ein wenig ein Richtung Pop- und HipHop-Mainstream gedriftet, seine Auftragsbücher als Produzent und Co-Songschreiber von Superstars wie Ocean, Kendrick Lamar oder Beyoncé immer gut gefüllt.
James Blake beweist in Berlin diskreten Humor

“Playing Robots into Heaven” wirkt nun wie ein Rücksturz in die frühen Jahre, ein club-kompatibler Spagat zwischen Maschinenmusik und Minnegesang, lichtem Mystizismus und fetten, mitunter dissonanten Beats. In Berlin beweist Blake, der früher bei Konzerten manchmal gar nicht mit dem Publikum geredet hat, sogar diskreten Humor. “Love Me Whatever Way” leitet er mit der Bemerkung ein: “Es ging mir damals nicht gut, aber ich habe viel gute Musik gemacht.” Ein gebrochenes Herz also als Antrieb für grandioses Songwriting. Der Song mündet in ein gewaltiges Crescendo, Blakes Keyboard klingt da wie eine Kirchenorgel. Dazu stöpselt und schraubt Rob McAndrews an einem Modular-Synthesizer (Typ “Schrankwand”) herum.
Bei der Vorstellung der Musiker betont Blake, dass diese Performance das Produkt von 13 Jahren harter Arbeit (in unveränderter Besetzung) sei. Tatsächlich ist es große Kunst, die überwiegend im Alleingang eingespielten Alben so energetisch und vor allem 100 Prozent live auf die Bühne zu bringen. Nur das mit dem Fliegen, das muss James Blake noch üben.