Berlin. Chefdirigentin Joana Mallwitz präsentiert mit Geiger Augustin Hadelich ihren neuen Artist in Residence.
Weit aufgerissene Augen, bohrende Blicke, heftig treibende Gesten: Wieder strahlt Joana Mallwitz eine Körperpräsenz aus, der man sich kaum entziehen kann. Wieder ist da jene Mischung aus Leidenschaft und gnadenloser Präzision. Eine Mischung, die bereits in der Vorwoche im Konzerthaus fasziniert hat – bei Mallwitz‘ Antrittskonzert als Chefdirigentin des Konzerthausorchesters. Diesmal stellt sich die 36-Jährige in der Philharmonie vor, beim Musikfest Berlin. Doch ohne die aktuellen Festival-Schwerpunkte zu bedienen: Statt Mahler, Rachmaninov und Sir Georg Benjamin lässt Mallwitz das Konzerthausorchester Beethoven, Britten und Dennehy spielen. Außerdem nutzt sie die Gelegenheit, um Augustin Hadelich vorzustellen, den diesjährigen „Artist in Residence“ des Konzerthauses.
An diesem Donnerstagabend ist Hadelich der Solist in Dennehys Violinkonzert. Ein zeitgenössisches Werk von 2020, das sehr gut zu Brittens „Four Sea Interludes“ passt. Weil beide Komponisten mit vollen Händen aus der Vergangenheit schöpfen und dabei eindeutige Meeres-Assoziationen erzeugen. Beim Iren Donnacha Dennehy sind es beschauliche, meditative Wellenspiele in der Mitte seines Violinkonzerts. Der Engländer Benjamin Britten zeigt dagegen eher die bedrohlichen und wilden Seiten des Meeres.
Was beim Konzerthausorchester nun allerdings kaum zu bemerken ist. Denn gerade zu Beginn des Abends konzentrieren sich die Musiker aufs technische Handwerk, wirken abwartend und distanziert. Passend dazu Mallwitz‘ Ruhe und Zurückhaltung. Das Publikum muss lange warten, bis Chefdirigentin und Konzerthausorchester richtig loslegen. Eigentlich sogar bis zu Beethovens Siebter Sinfonie in der zweiten Konzerthälfte. Und das erstaunt einerseits, da Brittens „Four Sea Interludes“ aus der Oper „Peter Grimes“ gerade dazu einladen, tief in die Effekte-Kiste zu greifen und große Theater-Emotionen zu entfesseln. Zumal Mallwitz ursprünglich von der Oper kommt und von 2018 bis 2023 Generalmusikdirektorin am Staatstheater Nürnberg war. Anderseits gibt es im Opernbusiness auch die berühmt-berüchtigte kapellmeisterliche Routine – und genau die lässt Mallwitz hier walten.
Der Geiger steckt das Orchester mit betörender Klangsinnlichkeit an
Umso erfrischender Hadelichs Auftritt mit Dennehys Violinkonzert. Hell und schlank ist sein Geigenspiel, lebhaft erzählerisch und fein nuanciert. Hadelich ist ein inspirierender Solist. Ein Musiker, der das Konzertorchester mit seiner betörenden Klangsinnlichkeit ansteckt. Aber selbst Hadelich kann nicht kaschieren, dass Dennehys 30-minütiges Violinkonzert insgesamt viel zu lang geraten ist. Seine besten Ideen präsentiert Dennehy bereits im ersten Satz – als überzeugenden Mix aus romantischer Intimität und Minimal-Music-Motorik, Irish Folk und sphärischen Obertonfarben.
Höhepunkt aber ist Beethovens Siebte Sinfonie nach der Pause. Hier setzt Mallwitz das Konzerthausorchester kräftig unter Strom. Sie fordert einen athletischen, auf Hochglanz getrimmten Beethoven. Und das Orchester liefert. Auffällig bei aller Sportlichkeit und leidenschaftlicher Spiellaune: Mallwitz‘ souveräne Gestaltung der Tempi und Formübergänge.