Philharmonie

Zwei Uraufführungen, die an Filmmusik erinnern

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Felix Stephan
Kirill Petrenko am Pult seiner Philharmoniker.

Kirill Petrenko am Pult seiner Philharmoniker.

Foto: Stephan Rabold

Werke von zwei Komponistinnen wurden von den Berliner Philharmonikern unter Kirill Petrenko uraufgeführt.

Berlin.  Ernst meinten es die Berliner Philharmoniker am Donnerstagabend: Übers Programmheft hinaus boten sie zwei Werkeinführungen auf der Bühne. Mit einigen Werkausschnitten, die Chefdirigent Kirill Petrenko moderierte. Und mit den zwei Komponistinnen des Abends, die der Philharmoniker-Bratschist Sebastian Krunnies interviewte. Der Anlass: Die Philharmoniker spielten zwei Uraufführungen in der ersten Konzerthälfte – „Ishjärta (Eisherz) der Schwedin Lisa Streich und „Pretty“ der US-Amerikanerin Julia Wolfe.

Zwei Werke, die trotz gewaltiger Unterschiede drei Gemeinsamkeiten haben. Da sind jene lautmalerischen Klangpanoramen, die sofort Bilder vorm inneren Auge erzeugen und an Filmmusik erinnern. Da ist jene einladende Sinnlichkeit, die dem Publikum sehr den Zugang erleichtert. Und da sind die Titel „Eisherz“ und „Pretty“, die eigentlich gar nicht notwendig wären. Weil ohnehin jeder etwas anderes mit diesen Musiken assoziiert. Fragil und sphärisch geht es in Streichs „Eisherz“ zu, mit sehr viel Pianissimo und feinen Fäden. Es ist eine wispernde, murmelnde Musik, bei der man unwillkürlich die Ohren spitzt. Und in einigen unheimlichen Momenten vielleicht sogar an mikrotonale Klangflächenverschiebungen à la György Ligeti denken muss.

Bei Tschaikowsky zeigten die Philharmoniker mehr Virtuosität als Leidenschaft

Wolfe liefert dazu das extrovertierte Gegenstück: Ihr „Pretty“ ist eine raue, lebhafte Komposition. Beeindruckend, wie es Wolfe schafft, mit relativ einfachen Mitteln Spannung zu erzeugen: rhythmische Pattern, die sich über mehrere Minuten in Dauerschleife wiederholen, dazu feierlich-mysteriöse Zeitlupen-Glissandi der Posaunen auf- und abwärts. Diese Musik gleicht einem mächtigen Meer mit hohem Wellengang, erhabenen Schaumkronen und bedrohlichen Wellenbrechern. Und ist zugleich ein effektiver Stil-Mix: Irish Fiddle Music trifft auf Minimal Music von Philip Glass und John Adams, Rock ‘n’ Roll auf Science-Fiction-Sounds, die aus einem Christopher-Nolan-Film stammen könnten.

Bravorufe und Jubel im Anschluss. Und deutlich mehr Publikumsbegeisterung als nach Tschaikowskys Sinfonischer Dichtung „Francesca da Rimini“ op. 32, die auch noch auf dem Programm steht. Was daran liegen könnte, dass die Philharmoniker hier mehr Virtuosität als Leidenschaft liefern, mehr vorgefertigten Klangluxus als Spontanität und Überraschung. Kirill Petrenko scheint bereits die Familienkonzert-Fassung vom kommenden Sonntag abzurufen. Er entschärft die blutrünstige Geschichte um die Adlige Francesca, die wegen Ehebruchs in der Hölle schmort.