Der französische Dirigent Fabien Gabel verordnet dem Deutschen Symphonie-Orchester und seinem Publikum in der Philharmonie einen frischen Blick unter anderem auf die deutsche Musikgeschichte, und zwar auf „Salome“. Aus Richard Strauss’ bekannter Oper erklingt im gut besuchten DSO-Konzert lediglich der etwa zehnminütige laszive „Tanz der sieben Schleier“. Weder programmatisch noch interpretatorisch ist das der Höhepunkt des Konzerts.
Das Orchester bringt die Oboen-Seufzer, die penetrant fordernde Solo-Bratsche, die orgiastischen Steigerungen und alle anderen Elemente dieser raffinierten Nummer gut zur Geltung – es könnte in Strauss’ Riesen-Orchesterbesetzung jedoch alles noch viel pointierter, durchhörbarer und mit mehr klanglichem Fokus geschehen. Zweifellos sind die Herausforderungen für das DSO mit den anderen diffizilen, weit seltener gespielten Stücken dieses Abends so gewaltig, dass dieses Repertoirestück ein wenig an Probenzeit abgeben musste.
Der französische Komponist Florent Schmitt schrieb nach der Erstaufführung der „Salome“ in Paris ein Tanzstück zum gleichen Sujet in der Tradition französischen Hofballetts: „La tragédie de Salomé“. Salome ist hier keine zwischen Lolita und Femme fatale changierende Göre, sondern als Prinzessin eine professionelle Tänzerin, die Gefühle lediglich darstellt und nicht auslebt. Florent Schmitt tat seinerzeit mit den gewaltigen orchestralen Mitteln der anbrechenden Moderne einiges, um die biblischen Naturgewalten zu illustrieren: Am Ende, Johannes der Täufer ist zum allgemeinen Entsetzen geköpft worden, tobt ein Sturm durch den Königspalast. Er stürzt zusammen, der Berg Nebo spuckt heiße Lava.
An der Grenze zur traditionellen Harmonik und Tonalität
Alle sterben, nicht nur Salome. Zur farbenreichen musikalischen Schilderung trägt auch bei, dass Schmitt seine Musik – fast stärker noch als Richard Strauss, aber nicht ganz so verführerisch – an die Grenze traditioneller Harmonik und Tonalität schiebt. Fabien Gabel führt Orchester und Publikum mit Präzision durch die Überraschungen dieses Stückes – aber irgendwie kann man sich danach, darin das Stück anderen Ballett- und Filmmusiken vergleichbar – an wenig erinnern.
Dieser Schluss des Konzerts bestätigt: Dirigent Gabel geht es hier um verschiedene musikalische Zugänge zum Thema des Tanzens nach 1900. Maurice Ravels „Valses nobles et sentimentales“ werden vom DSO unter Gabel mit Klangsinnlichkeit ausgestattet. Doch Leidenschaft äußert sich hier nur indirekt, weil Ravel in fast neoklassischer Manier Musik über ältere, barocke Musik schrieb. Aus diesem Zugriff auf Tanz allerdings lassen sich besondere Funken der Virtuosität schlagen, wie das blonde niederländische Nachwuchs-Klavierduo Lucas und Arthur Jussen im Konzert für zwei Klaviere und Orchester d-Moll von Francis Poulenc unter Beweis stellt. Auch Poulenc vollführt einen gewagten und humoristischen Ritt durch die Epochen – von den Brüdern an den zwei Klavieren mit einer Artistik in pianistischem Handwerk und Koordinierung dargestellt, mit der sie auch im Zirkus auftreten könnten.