Wenn im 18. und frühen 19. Jahrhundert vom „großen Bach“ die Rede war, dann meinte man damit – anders als heute – nicht Johann Sebastian Bach, sondern seinen ältesten Sohn Carl Philipp Emanuel. Er wurde als Schöpfer kühner Klavierfantasien ebenso bewundert wie als Virtuose und beeinflusste Komponisten wie Haydn, Mozart und Beethoven. Doch heute werden seine Klavierwerke kaum noch gespielt. Gut, dass es da Künstler wie die israelische Pianistin Einav Yarden gibt. Sie nahm ein ganzes Album mit Carl Philipp Emanuel Bachs Klavierstücken auf und kombinierte diese mit Werken seines Vaters. Titel der CD: „Father and Son“ (Vater und Sohn).
Im Pianosalon Christophori spielte sie am Montag Auszüge aus dem CD-Programm und fügte den Bach-Werken noch Johannes Brahms’ späte Klavierstücke op. 116 hinzu, die sich musikalisch bestens einfügten. Die 45-jährige Israelin zeigte sich als glänzend ausgebildete Pianistin mit exzellenter Technik und profundem Bewusstsein für Strukturen. Dies kommt nicht von ungefähr, vier Jahre studierte sie bei dem legendären Pianisten Leon Fleisher in den USA, der zu den letzten lebenden Schülern des großen Arthur Schnabel gehörte und für sein hochreflektiertes intelligentes Spiel gerühmt wurde.
Ein Problem in vielen C. Ph. E. Bach-Klavierwerken ist, dass sie eine Fülle von unterschiedlichen Motiven mit teilweise sehr gegensätzlichen Charakteren enthalten, die jedoch nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. Zwischen diesen Motiven gibt es oft Brüche, die zumeist durch überraschende Pausen entstehen. In dieser Hinsicht bildet seine Musik ein Gegenmodell zu den organisch fließenden Klavierwerken von Mozart, dieses Charakteristikum dürfte der Hauptgrund sein, weshalb C. Ph. E. Bachs Klavierwerke heutzutage kaum gespielt werden.
Die Pianistin formt die Fülle der Charaktere zu einem großen Ganzen
Bereits das erste Stück des Abends, ein originelles Rondo in c-Moll aus seinen späten „Sechs Sammlungen für Kenner und Liebhabers“, zeigte das exemplarisch. Doch Einav Yarden gelingt es, die Fülle der Charaktere zu einem großen Ganzen zu formen. Dabei beeindruckt die Durchsichtigkeit und Klarheit ebenso wie das leidenschaftlich drängende Moment ihres Spiels, das der hochemotionalen Musik C. Ph. E. Bach sehr zugute kommt.
Auch die zweite „Englische Suite“ von Vater Bach interpretiert sie mitreißend mit motorischem Drive, der bisweilen ein wenig an Glenn Gould erinnert, allerdings verwendet sie mehr Pedal als jener, um Klänge von orgelähnlicher Fülle zu gestalten, wenn es sich anbot. Nur hätten die langsamen Sätze wie die Allemande und die Sarabande einen etwas wärmeren und kantableren Ton vertragen können.
Den zeigte die Israelin dann umso mehr bei den späten Brahms-Stücken, die sie mit romantischem Pathos und hoher Klangkultur vortrug, ohne dabei die Werkarchitektur zu vernachlässigen. Da gab es zu Recht rauschenden Beifall im gut besuchten Pianosalon Christophori, die Pianistin bedankte sich dafür mit einem witzigen Tango aus der neoklassizistischen Periode von Strawinsky.
Pianosalon Christophori, Uferhallen, Uferstr. 8, Gesundbrunnen. Nächste Termine: Juliana Zara (Sopran) und Marlene Heiss (Klavier) am 11.5.; Piano Duo Chipak & Kushnir am 12.5., Pianist Georgy Gromov am 14.5. jeweils 20 Uhr