Berlin. Elton John liefert auf seiner „Farwell Yellow Brick Road“ Tour beim ersten von drei Auftritten ein sensationelles Abschiedskonzert ab.
Die ersten perlenden Takte erklingen auf dem Flügel, und plötzlich erinnert man sich bei Elton Johns wehmütiger Ballade "I Guess That's Why They Called It The Blues" an den ersten Liebeskummer als wäre es gestern gewesen. Jeder Song des englischen Superstars trifft mitten ins Herz. Zumal die emotionale Intensität live nachgerade potenziert wird. Hat Elton John doch für viele den Soundtrack ihres Lebens komponiert.
Die dynamischer Pose des "Rocketman" mit dem hochaufragenden Zeigefinger hat der 76-Jährige in der bis auf den letzten Platz ausverkauften Mercedes-Benz Arena natürlich immer noch drauf. Den gleichnamigen Hit gibt es in einer extralangen Versionen. Der Jubel danach ist ohrenbetäubend. Reichlich Star-Appeal verströmt der Sänger im vor glitzernden Strasssteinen strotzenden pudrigrosanen Frack mit ebensolcher Jumbo-Brille selbstredend auch.
Elton John ist seit fünf Jahren auf Abschiedstour

Der Megastar bedankt sich zuallererst bei den treuen Zuschauern, die trotz mehrerer Verschiebungen ihre Tickets und ihre Geduld behalten haben. Mit Unterbrechungen durch die Pandemie, aber auch wegen einer Hüftoperation ist Elton John schließlich nun schon seit fünf Jahren auf seiner Abschiedstour „Farwell Yellow Brick Road". Ein weltumspannendes Goodbye mit mehr als 350 Shows. Die umsatzstärkste Tour der Geschichte. In Berlin performt der Superstar sein Servus gleich drei Mal. Am Mittwoch und Donnerstag tritt Elton John noch mal in der Mercedes-Benz Arena auf. Beide Konzerte sind ausverkauft.
Mit über 300 Millionen verkauften Tonträgern gehört der Sänger, Komponist, Pianist und zweifacher Oscar-Preisträger zu den fünf absatzstärksten Interpreten weltweit. Über ein halbes Jahrhundert prägte er mit seinen Hits, den berühmten Staccato-Klavierakkorden und einer Unzahl exzentrischer Outfits die Popkultur. Sein schelmisches Grinsen hat er über die Dekaden beibehalten. Seinen unverwechselbaren pompösen Sound ebenfalls.
Elton John in Berlin: Leinwand dient als Fotoalbum

Dass es wirklich ein letzter Rückblick auf eine einmalige Musiker-Karriere ist, daran lässt das Bühnenbild der Show keinen Zweifel. Eine in einen Bilderrahmen verwandelte Leinwand dient als Fotoalbum, in dem Elton die letzten fünf Jahrzehnte noch einmal Revue passieren lässt mit einem Streifzug durch seine epochalen Hits. Zu jedem Track gibt es maßgeschneiderte Visuals, die auch unzählige Bilder aus Elton Johns Biographie präsentieren.
Die war bekanntlich voller Ups und Downs. Karriereknick Ende der Siebziger durch das Aufkommen von Punk und Disco. Höhenflug in den Achtzigern mit Power-Balladen. 1976 outete er sich in einer Coverstory des Rolling Stones als bisexuell. Später bekannte er sich zu seiner Homosexualität. Danach knockte ihn seine jahrlange Drogenabhängigkeit fast aus. 1987 unterzog er sich infolgedessen einer Kehlkopfoperation, bei der er sein Falsett verlor und erneut singen lernte musste. 1990 folgte ein Entzug.
Elton John in der Mercedes Benz-Arena: Ein Hit reiht sich an den nächsten
Wie kreativ er in seinen Anfängen war, beweist die Setlist. Sie besteht fast ausschließlich aus seinen ersten Alben. Nur vier seiner 23 Songs stammen aus der Zeit nach 1975. Während die Soundsysteme auf Hochtouren laufen, liefert die grandiose sechsköpfige Band Bombast und Brillanz. Mit drei Schlagzeug-Sets, Keyboard und Bass sowie Gitarrist Davey Johnstone mit dem Elton John schon seit den 1970er Jahren auf der Bühne steht.
Der Sound ist in jedem Fall satt, laut und dennoch voller Höhen. Fast leicht übersteuert, wirkt er ein wenig wie vom anderen Stern. Was nicht nur zum Rocketman passt. Zuweilen wähnt man sich nämlich auch als Zuschauer nicht auf einem normalen Konzert. Die wunderbar nostalgische Show ist in weiten Teilen vielmehr eine gegenseitige Huldigung. Elton John läuft noch einmal für seine Fans zur Hochform auf, gibt alles, zeigt seine fabelhaften Live-Qualitäten. Und das Publikum springt immer wieder auf, um ihn mit Standing Ovations zu feiern. Hier zelebrieren Musiker und Zuschauer traurig und freudig zugleich ein inniges Lebewohl. Schaffen gemeinsame Erinnerungen mit Songs für die Ewigkeit.
Dafür hat Elton John die Titel sorgfältig ausgewählt. Neben Chartbreakern gibt es auch seltener gespielte Tracks wie „Border Song", den Pianoman Soul-Ikone Aretha Franklin widmet. Es ist kein flüchtiger Flug durch die obligatorischen Hits, sondern ein tiefes Eintauchen in das Werk des Großmeisters der Balladen und Königs des bebrillten Boogies.
Dabei reiht sich immer wieder ein Hit an den nächsten. „Tiny Dancer" etwa zeigt, was handgemachte Tracks digital generierter Mainstream-Ware voraus haben: Der Spannungsbogen ist ausgefeilt. Bis zum Refrain verstreichen drei Minuten. Dann aber verzaubert die traumwandlerisch schöne Hookline wirklich jeden. Ein Meilenstein der Songwriter-Kunst. Oder "Candle In The Wind", bebildert mit Filmsequenzen von Marilyn Monroe. Ursprünglich hat Elton John den Songs 1974 der unsterblichen Diva zugeeignet hat, bevor er ihn einmalig zur Beerdigung seiner Freundin Diana, der Princess of Wales, ihr zu Ehren umtextete. Jetzt dreht sein motorisierter Flügel dabei eine Runde quer über die Bühne.
Ein höllisches Inferno mit über den Bühnenrand stürzendem Nebel wird bei "Furneral For A Friend" entfacht, das nahtlos in "Love Lies Bleeding" übergeht. Artrock vom Feinsten, bei dem die Gitarren tief fliegen. Beim „Crocodile Rock" brodelt es wenig später in der Halle, hält es doch niemanden auf den Sitzen. Auch beim hypnotischen „Don't Let the Sun Go Down on Me" gehen alle begeistert mit. Bei "Sorry Seems To Be The Hardest Word", "I'm Still Standing" und „Your Song" dürften sich die Götter der Musik endgültig vor Elton John verneigen. Er sorgt immer noch für Gänsehaut und verabschiedet sich mit dem bittersüßen „Goodbye Yellow Brick Road". Es wird ein musikalisches Leben jenseits der gelben Backsteinstraße geben, verspricht er zu guter Letzt.
Der schillernde Abschied eines Superstars, der Rock- und Popgeschichte geschrieben hat. Danke für die Musik, Sir Elton John.