Philharmonie

Kent Nagano: Ein Requiem zur Unterhaltung und Entspannung

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Matthias Nöther
Dirigent Kent Nagano.

Dirigent Kent Nagano.

Foto: THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES

Kent Nagano dirigierte beim Deutschen Symphonie-Orchester das Deutsche Requiem von Brahms in der bunten Fassung von 1868.

Mit dem Deutschen Symphonie-Orchester und der Audi Jugendchorakademie aus München präsentiert der Dirigent Kent Nagano im ausverkauften Saal der Philharmonie eine ungewöhnliche Version des Deutschen Requiems von Johannes Brahms – er stellt das Programm der Uraufführung im Dom zu Bremen 1868 nach. Und das war bunt – gemessen jedenfalls an Inhalt und Charakter des eigentlichen Requiems. Man spielte das, was oft große Oratorien-Ereignisse in Konzerten des 19. Jahrhunderts zur Unterhaltung und Entspannung schmückte: Zwischenstücke aus bewährtem Repertoire. Damals erklang noch nicht der fünfte Satz des späteren Brahms-Requiems mit dem berückenden Sopran-Solo „Ihr habt nun Traurigkeit“ – Brahms schrieb diesen erst im Nachgang im Angedenken an seine verstorbene Mutter.

Nagano, früherer Chef- und langjähriger Ehrendirigent des DSO, hat sich in den letzten Jahren viel mit der Aufführungspraxis des romantischen Zeitalters beschäftigt. So schmiedete er vor wenigen Jahren Wagners „Ring des Nibelungen“ in Köln mit Instrumenten in Bauart der Entstehungszeit. Auch in den fünf Sätzen dieser „Bremer Fassung“ des Deutschen Requiems horcht man einige Male überrascht auf. Gleich im zweiten Satz „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ lässt er die Streicher nicht gravitätisch ausschwingen, sondern hält sie an, mit kleinen Bewegungen zu spielen.

Der junge Chor jedenfalls kann das gebrauchen. Er bringt eine ungewohnt helle Klangfarbe in das dunkle, an deutschen Bibelworten entlangkomponierte Geschehen um Tod und Auferstehung, das zurückhaltende Spiel des Orchesters sorgt für hervorragende Textverständlichkeit und klangliche Transparenz. Auch der Bariton Konstantin Krimmel singt bemerkenswert hell und beweist so stimmliche Flexibilität im Vergleich mit seinem dunklen und weichen Ton zwei Tage zuvor in der Matthäus-Passion am gleichen Ort.

Konzertmeisterin Marina Grauman wird zum heimlichen Star des Abends

Besonders interessant wird es, wenn im ersten Zwischenprogramm die DSO-Konzertmeisterin Marina Grauman von der Orgelempore aus zu einem langsamen Bach-Satz anhebt. Grauman wird mit ihrem meisterlich zwischen Pathos und Empfindsamkeit changierenden Spiel zum heimlichen Star des Abends. Es dürfte kein Zufall sein, dass Nagano die in der russischen Geigenschule ausgebildete junge Musikerin als Solistin haben wollte: Sie dürfte mit ihrem einfühlsamen und zugleich traditionell romantischen Spiel Joseph Joachim nahestehen – dem Solisten der Bremer Uraufführung, dem Brahms-Freund und Gründer der Berliner Musikhochschule.

Wenn die Altistin Rachael Wilson in einem Konzert-Appendix zu Bachs „Erbarme dich, mein Gott“ mit hallenfüllendem Schmettern und Operngeste ansetzt, gibt es wenig Grund, die Nase zu rümpfen. Ja, es handelt sich um eine ziemlich theatralische Auffassung dieses Hits aus der Matthäus-Passion. Es ist plausibel, dass man dies am Karfreitag 1868 in Bremen ähnlich hören konnte.