Rias-Kammerchor und Akademie für Alte Musik führten unter Justin Doyle Bachs Matthäus-Passion in der Philharmonie auf.
Am Abend des Gründonnerstag bringen der Rias-Kammerchor und die Akademie für Alte Musik Berlin die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach in die Philharmonie. Laienchor-Sängerinnen und -Sänger jeden Alters dürften im Publikum sein. Dieses musikalische Oster-Event in der deutschen Hauptstadt einmal mit deren Ohren zu hören versuchen, ist besonders inspirierend: Ein avantgardistischer Nachkriegskonzertsaal im Zentrum der deutschen Hauptstadt – ohne christliche Symbole, ohne außermusikalische Rituale in der Aufführung, mit den Klängen der berühmten Passion als einzigen Begleitern der Trauer über den Kreuztod Jesu: Vielleicht kann man diese weltlich organisierte Bach-Aufführung eines Radio-Ensembles als unverwechselbare Art begreifen, wie Ostern von der nüchternen und vielstimmigen Berliner Stadtgesellschaft gefeiert wird.

Dirigent des Abends ist der Chef des Rias-Kammerchors Justin Doyle. Auch wenn er zum Beispiel den Tenor Benjamin Glaubitz die Arie „Ich will bei meinem Jesus wachen“ oder den Chor den Choral „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ in durchaus forschen Tempi ausführen lässt, ist er am Ende für eine Aufführung verantwortlich, an deren Ende die Stunde vor Mitternacht geschlagen hat.
Es ist der Duktus des statischen biblischen Passionsberichts
Justin Doyle dirigiert seinen Chor mit Aufmerksamkeit für pointierte, zum Hinhören einladende Phrasierung namentlich in den Chorälen, liefert aber keine altklug-naseweise historistische Interpretation ab. Sein Dirigat steht an diesem Abend für eine flächig gedachten Bach, ohne hinzukonstruierte theaterhaft voranpeitschende Dramaturgie. Es ist der Duktus des statischen biblischen Passionsberichts, dessen Bilderserien an Kirchenwänden hängen – und das ist in Ordnung so. Ganz in diesen Dienst stellt der Tenor Patrick Grahl sein musikalisches Feuer für die textreiche Partie des Evangelisten. Weit auf dem Podium ist die Akademie für Alte Musik verteilt und lässt der Individualität ihrer Mitglieder Raum. Gemeinsam mit dem Tenor Grahl im Zentrum des Orchesters steht der Bass Dominic Barberi als Jesus.
Arien-Bass Konstantin Krimmel ist mit seiner warmen, ausgeglichen geführten Stimme für etliche Herzensmomente verantwortlich. Der Altus Benno Schachtner seinerseits hat unter den männlichen Sängern des Ensembles mit Arien wie „Ach! Nun ist mein Jesus hin!“ sowie „Erbarme dich“ besonders emotionale Nummern des Riesenwerks zu vertreten und meistert das mit nuancierter Kontrolle – bleibt aber, vermutlich aufgrund einer kleinen stimmlichen Indisposition, hinter seinen Möglichkeiten zurück. Gemeinsam mit der silbrig schwebenden Trauer des Solosoprans von Aoife Miskelly macht Schachtner das Duett „So ist mein Jesus nun gefangen“ mit Hilfe der wild entsetzten Einwürfe des Rias-Kammerchors zum Höhepunkt des Abends.