Viele vertraute, aber auch neue Dirigenten und Dirigentinnen werden an der Staatsoper in der kommenden Saison zu erleben sein. Daniel Barenboim, der im Januar als Generalmusikdirektor zurückgetreten war, findet sich hingegen gar nicht mehr im Berliner Programm. Intendant Matthias Schulz, der sein Amt in Berlin 2024 aufgibt und Chef in Zürich wird, spricht über das Pläne seiner letzten Spielzeit.
Bemerkenswerterweise wird die russische Soprandiva Anna Netrebko an die Staatsoper zurückkehren. Ihr wurde im vergangenen Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zu viel Nähe zu Wladimir Putin nachgesagt. Ihre Mitwirkung in der „Turandot“-Premiere fiel aus. Sie habe sich mit ihrem Handeln jetzt klar positioniert, sagt Schulz: „Ich finde, man muss dieser Künstlerin dann auch diese Chance einräumen.“ Die Netrebko singt jetzt vier Mal die Lady Macbeth in Verdis „Macbeth“ im September."
Herr Schulz, wie viel Zeit und Energie werden Sie noch in Berlin einbringen, wie viel bereits in Zürich?
Matthias Schulz Ich werde jeden einzelnen Tag in Berlin genießen, weil man noch einmal eine ganze Spielzeit all die Gefäße zeigen kann, die wir in den letzten Jahren aufgemacht haben. Es sind wunderbare Premieren, Wiederaufnahmen und Konzerte geplant. Aber ich muss so alle sechs Wochen für ein paar Tage nach Zürich. Das gehört bei einem solchen Übergang dazu.
Es ist auch deshalb eine Übergangsspielzeit, weil Daniel Barenboim sein Amt als Generalmusikdirektor im Januar kurzfristig aufgegeben hat. Wie viele Veränderungen hat es im Programm nach sich gezogen?
Daniel Barenboim hat als GMD zwei Premieren, insgesamt rund 60 Vorstellungen pro Saison dirigiert. Dazu kamen vier Abokonzerte, Konzerte zum Jahreswechsel und die Tourneen mit der Staatskapelle. In diesem Umfang musste Dinge umgedacht und umgeplant werden. Bei einigen Veranstaltung war der Plan B bereits mitüberlegt worden. Wir hatten schon eine sehr intensive Zeit der Umplanung. Aber das Prinzip, das Programm auf verschiedene Schultern zu verteilen, was Daniel Barenboim auch immer unterstützt hat, kommt jetzt besonders zum Tragen. Wir hatten Janácek mit Simon Rattle, Strauss mit Zubin Mehta und Thomas Guggeis oder Puccini mit Antonio Pappano, darüber hinaus die barocke Schiene und Uraufführungen. Wir werden viele Dirigententypen und auch neue Dirigenten erleben.
Wie läuft die Nachfolgesuche?
Ich bin mehr in der vermittelnden Position, weil die Spielzeit 23/24 jetzt ohne einen GMD veröffentlich wird. Zwischen Kultursenator Klaus Lederer, meiner Nachfolgerin Elisabeth Sobotka und mir gab und gibt es Gespräche. Einigkeit herrscht darüber, dass die Staatskapelle langfristig wieder einen Klangentwickler braucht. Aber man ist sich auch einig, dass man bei der Suche nicht in Hektik verfallen muss, weil das Haus gut aufgestellt ist. Sicherlich spielt es auch eine Rolle, dass wir im Moment nicht wissen, wer in ein paar Wochen Kultursenator sein wird. Ich vermute, dass es innerhalb dieses Jahres mehr Klarheit geben wird.
Wie geht es der Staatskapelle bei den Vorgängen?
In der Staatskapelle macht man sich seit geraumer Zeit seine Gedanken und hat sich auf neue Begegnungen eingelassen. Die wird es auch in der neuen Spielzeit geben. Es sind einige Namen dabei, die man noch nicht an der Staatsoper gelesen hat. Ich nenne Ivan Fischer, Elim Chan, Joanna Mallwitz oder Marie Jacquot. Insgesamt haben wir sieben Dirigentinnen im Programm. Das Orchester muss in erster Linie mit dem neuen Generalmusikdirektor zusammen arbeiten. Insofern wird die Stimme der Staatskapelle bei der Auswahl eine wichtige Rolle spielen.
Wie geht die Staatsoper weiter mit Daniel Barenboim um?
Die Staatskapelle hat ihm ja den Ehrentitel „Chefdirigent auf Lebenszeit“ verliehen. Es gibt den Wunsch, dass es weiterhin zu regelmäßigen Begegnungen kommt. Wir hoffen, dass in der nächsten Spielzeit eine USA-Tournee mit acht Konzerten klappt. Auf dem Programm steht Brahms, ein Komponist, der im Zentrum der Zusammenarbeit der Staatskapelle mit Barenboim steht.
Moment: Das heißt, in dieser und der nächsten Spielzeit findet kein Konzert der Staatskapelle mit Barenboim in Berlin statt. Warum?
Wir hoffen, dass wieder es zu regelmäßigen Begegnungen kommt. Die gesundheitliche Situation, die zu seinem Rücktritt geführt hat, lässt bis auf weiteres keine Opernplanungen zu. Und bei den Konzerten wird es sich auf die USA-Tournee beschränken.
Im Programm finden sich insgesamt viele Debütant:innen. Peter Sellars inszeniert Marc-Antoine Charpentiers „Médée“ bei den Barocktagen im November, Nicola Luisotti dirigiert Verdis „Aida“ zur Premiereneröffnung, die traditionell am 3. Oktober stattfindet. Robin Ticciati, der scheidende Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, leitet die Premiere von Dvoraks „Rusalka“ im Februar. Sind das Langzeit- oder kurzfristige Umbauplanungen?
Es ist eine Mischung. Mit einigen sind wir seit Jahren in Kontakt, aber sie waren vorher nicht verfügbar. Marie Jacquot wird die Uraufführung von Marc-André Dalbavies „Melancholie des Widerstands“ dirigieren. Sie kenne ich vom Young Conductors Award von den Salzburger Festspielen, wo ich acht Jahre lang in der Jury saß. Es gibt einige, die jetzt einen tollen Weg machen. Dass Nicola Luisotti die „Aida“ dirigiert ist ein glücklicher Zufall, weil sich etwas an der New Yorker MET verschoben hatte.
Die Festtage zu Ostern sind immer Barenboims Baby gewesen. Wie ist das geregelt?
In den Anfangsjahren hat er bei den Festtagen den ganzen Wagner gepflegt. Deshalb gibt es eine große Wagner-Tradition, zu der wir jetzt zurückkehren. Wir haben uns entschlossen, den neuen und erfolgreichen Zyklus von Wagners „Ring des Nibelungen“ in der Regie von Dmitri Tcherniakov zu den Festtage zwei mal aufzuführen. Am Pult wird dann Philippe Jordan stehen. Darüber hinaus wird es im Bruckner-Jubiläumsjahr mit dem Ehrendirigenten Zubin Mehta eine Bruckner Acht geben.
Die großartige Mezzosopranistin Waltraud Meier kündigt mit der Klytämnestra in Strauss’ „Elektra“ ihren Bühnenabschied an?
Uns gegenüber hat sie gesagt, dass sie sich nicht nur von der Rolle verabschiedet. Es wird ihr endgültiger Abschied von der Bühne sein. Aber mal sehen, ob es dabei bleibt. Wir freuen uns darüber, dass sie die Klytämnestra in der legendären Inszenierung von Patrice Chéreau singt. Wir werden den Abend gebührend feiern.
Die Uraufführungen gelten als eines Ihrer Steckenpferde. Wie wird es enden?
Wir wollten immer neue Opernstoffe entwickeln. Wir bringen die „Melancholie des Widerstands“ zur Uraufführung und zeigen „Sleepless“ und „Violetter Schnee“ als Wiederaufnahmen. Man kann es als Trilogie verstehen, in der sich viele psychologischen Zustände unserer Tage wiedererkennen lassen.
Elisabeth Sobotka wird Sie am 1. September 2024 ablösen. Wenn sie miteinander reden, worum geht es am meisten?
Das bleibt unter uns. Aber sie wird von mir alles, was sie braucht, um diese wunderbare Haus weiter zu führen, bekommen. Wir haben reichlich Erfahrungen gesammelt in der Sanierungsphase und dem Neubezug der Staatsoper Unter den Linden bis hin zu Corona. Sie kann sich auf das Haus freuen!