Mit der Powerpop-Hymne „Deine Hand“ meldete sich Herbert Grönemeyer nach langem musikalischem Schweigen letzten November bei „Wetten, dass..?“ zurück. Ein Hoffnung machender Vorbote seines neuen Albums „Das ist los“ (Vertigo Berlin/Universal Music), das am Freitag erscheint. Wie der Titel schon verrät, ist der Longplayer eine Bestandsaufnahme unserer Gegenwart. In 13 Songs erweist sich Herbert Grönemeyer einmal mehr als großer Gefühls- und Welterklärer.
Nach seinem 2018er-Album „Tumult“, das seinerzeit symbolträchtig am 9. November, dem Tag der „Reichskristallnacht“, veröffentlicht wurde und sich in den Liedern gegen den Rechtsruck im Land wandte, wird es auch diesmal wieder politisch. „Angstfrei“ etwa, das mit seinem tanzbaren Synthie-Pop an den Sound der Achtziger erinnert, übt leise Kritik an der Verzagtheit der Ampel-Koalition mit den Versen: „Wer nicht strampelt, klebt an der Ampel und wartet auf Grün. Der Ernst der Lage steht außer Frage. Jetzt heißt’s durchzuziehen.“ Gesungen mit reichlich Sendungsbewusstsein, fordert der 66-Jährige damit aber nicht nur die Politik auf, gegen die Probleme und Missstände anzugehen, sondern jeden Einzelnen.
Bei der Albumpräsentation mitsamt dem ersten offiziellen Listening im Charlottenburger Restaurant Lovis ging es weniger um die Inhalte, als vielmehr um die Entstehung des Albums in Italien, auf der schwedischen Insel Gotland und in Berlin. Herbert Grönemeyer sprach sichtlich gut gelaunt über sein neuestes Werk. Wobei er hofft, dass die Songs für sich selbst sprechen. „Es ist der Versuch, wieder in die Musik einzusteigen. Dass man Musik machen kann in dieser komplexen Zeit, ist irre schön. Weil es ein Rückzugsort für einen selber ist,“ verriet er.
Für das neue Album hat sich der Musiker mit seinem Produzenten Alex Silva nach Umbrien zurückgezogen. Sich im Herzen Italiens inspirieren lassen. Nicht nur für seine neuen Songs, wie er erzählt. Denn quasi nebenbei ist „als sentimentale Erinnerung an die Zeit“ das Kochbuch „Fatto a Mano“ entstanden, das handverlesene Rezepte auf opulente Weise zwischen den Buchdeckeln vereint. Es führt ein in Lorena Autuoris italienische Küche. Sie hat die Musiker mit ihrer authentischen, bodenständigen, aber auch sehr feinen Küche beglückt. Und lässt den Popstar von „Pasta e Patate“ schwärmen.
Bestens gestärkt, hat sich Herbert Grönemeyer in Umbrien auf die Suche nach Antworten gemacht und sich mit den drängendsten Krisen unserer Zeit auseinandergesetzt. Seine tiefgründigen Erkenntnisse sind in die Songs eingeflossen. Vor allem in den Opener „Deine Hand“. Im Video geht es um ein friedliches multikulturelles Miteinander, um Hindernisse wie einen mit Stacheldraht bewehrten Zaun zu überwinden. Oder um Soldaten im Krieg in der Ukraine zu stoppen.
Einen Text hat er zusammen mit der Berliner Sängerin Balbina geschrieben
Ein Song voller positiver Vibes, der Mut macht nach den Jahren der Pandemie. Grönemeyer nimmt seine Fans dabei quasi an die Hand. Er sagte, Musik sei „schon auch dafür da, Ängste ernst zu nehmen und gleichzeitig aber auch eine Perspektive zu formulieren“. Dass er den Text mit der Berliner Sängerin Balbina geschrieben hat, während die Musik von Nellie Christina Andersson stammt, einer jungen Songwriterin, hat Symbolcharakter. Gibt der Star doch auf diese Weise Frauen mehr Raum, sich künstlerisch zu profilieren. Ein Zeichen der Solidarität in der zuweilen harten, immer noch von Männern dominierten Musikbranche. Ein Thema, das Grönemeyer wichtig ist. Gerade erst hat er zum Weltfrauentag seinen ersten großen Hit „Männer“, der ihm 1984 den endgültigen Durchbruch bescherte, in „Frauen“ umgedichtet.
Auch in seinen neuen Liedern geht es immer wieder um starke Frauen. Deren Schicksale vor allem im Iran und Afghanistan im Kampf um Freiheit und Selbstverwirklichung beschäftigen ihn sehr. Auf seiner Website ruft er denn auch auf zu Spenden für den „Afghanischen Frauenverein“. Unter anderem. Selbstredend schlägt sich sein gesellschaftspolitisches Engagement für die Klimarettung, Demokratisierung, Flüchtlingshilfe und vieles mehr in seinen Liedern nieder. Deren Texte sind gewohnt geschliffen und metaphernstark. Transportieren außerdem zusammen mit kraftvollen Melodien alle möglichen Schattierungen zwischenmenschlicher Gefühle.
Neben ernsten Songs gibt es auch jede Menge heiterer Momente auf dem Album. Selbstverständlich hat Herbert Grönemeyer auch die höchste Kunst des Songwritings, das Liebeslied, nicht verlernt. In der Klavierballade „Tau“ dreht sich alles um die glückliche Zweisamkeit. Denn es geht auch um Lebensfreude auf „Das ist los“, das übrigens in weiten Teilen erstaunlich tanzbar ist. Und Tanzen setzt bekanntlich Endorphine frei. Ein Glücksrausch mit Grönemeyer.
Musikalisch bleibt sich der Popstar mit gefühligem Rockpop und abwechslungsreichen Beats weitestgehend treu. Bisher landeten elf seiner Alben auf Platz eins. Mit dem neuen Longplayer könnte ihm das Kunststück erneut gelingen. In jedem Fall sind die 13 neuen Songs ein Vorgeschmack auf die Tour, die im Mai startet. Die Fans dürfen sich auf sein Konzert am 21. Mai in der Mercedes-Benz Arena freuen. Am 5. und 6. Juni folgen dann gleich zwei Open-Air-Gigs in der Waldbühne. Das heiß ersehnte neue Album dürfte die Wartezeit bis dahin erheblich verkürzen.