Eine Stunde vor Vorstellungsbeginn entließ ein Reisebus seine Passagiere mit laufendem Motor auf den Bertolt-Brecht-Platz. Die ihm entstiegene japanische Reisegruppe nutzte das Scheinwerferlicht für Selfies mit Statue, dann strömte sie in den zweiten Rang des Theaters am Schiffbauerdamm. Als das Licht im Saal nicht ganz verlosch und den Künstlern auf der Bühne etwas Gegensicht ließ, zeigten sich ihre gut gelaunt lachenden Gesichter über der Brüstung, und als das Schlagzeug zu einem Intro-Solo anhob, entfuhr manchen bereits erstes Johlen. Ein Big Band-Abend mit „Songs“ von Bertolt Brecht und der Musik von Hanns Eisler und Kurt Weill am Berliner Ensemble.
Neben einem Flügel, einem E- und einem Kontrabass, einer E-Gitarre sowie einem Schlagwerk nahmen sechs Saxophone, drei Klarinetten sowie je vier Trompeten und Posaunen die Breite der Guckkastenbühne ein. Den beiden Ensemblemitgliedern Constanze Becker und Tilo Nest blieb links und rechts Platz für einen Bistrotisch (Becker) und einen Fauteuil (Nest). Abwechselnd von dort oder aus der Mitte gaben sie, erst beide in Frack und Lackschuhen, zuletzt Becker in rotem Paillettenkleid und Nest im Smoking, zwölf Brecht-Weill- und zwei Brecht-Eisler-Lieder zum Besten.
Dass die für ihren achtsamen Umgang mit dem Material berüchtigte Kurt-Weill-Foundation diese Arrangements genehmigt hat, kann nur am Ablauf von siebzig Jahren Urheberrechtsschutzfrist liegen. Kaum etwas von dem, was die beklemmende Stärke, die bedrohliche Poesie und schmerzstillende Widerständigkeit von Weills Vertonungen vieler Brecht-Texte ausmacht, ist noch vorhanden. Das musikalisch Inkommensurable Weills, das den Garanten für die Dauerhaftigkeit der kritischen Kraft seiner Kompositionen bildet, ertrinkt. Es wird von einem Klangwogen überflutet, der unter sommerlichem Kastanienlaub in einem Augsburger Biergarten sicher seine Berechtigung hat.
Selbst Constanze Becker hing in den Wohlfühl-Arrangements fest
Balance ist da nicht. Selbst Constanze Beckers Spiel- und Singkunst und ihr sichtbares Verständnis der Zeilen, die sie singt, als geschehe das nicht ganz freiwillig, werden vom Big Band-Ozean wie Gischt von Klippe zu Klippe geworfen. So weit sie darf, lehnt sich die Celia Peachum aus Barrie Koskys „Dreigroschenoper“-Inszenierung am BE aus dem Fenster der Wohlfühl-Arrangements, doch der Feststellhaken der Trompeten sitzt.
Es war Tilo Nests großer Wunsch, so erzählte gegen Ende der Co-Arrangeur und Schlagwerker Stephan Genze, einmal einen Big Band-Abend zu machen. Doch warum mit der Musik von Eisler und Weill, warum mit Brecht-Texten? Um, wie geschehen, zwischen den Songs drei durch ihre instrumentelle Verweishaftigkeit eher schlichte Brecht-Weisheiten zur heutigen System-, Markt- und Kriegslage einzustreuen? Dass diese Zitate auch als Motetten auf der „Aufstand für Frieden“-Demo vor drei Wochen gepasst hätten (immerhin war sie näher an Brechts 125. Geburtstag, der den Anlass des Abends bieten soll), lassen neben akustischer Erschöpfung den faden Geschmack einer von doppelter Instrumentalisierung marginalisierten Bühnenkunst zurück.