Im Berliner Ensemble erzählt Regisseurin Fritzi Wartenberg im Stück „Alias Anastasius“ eine Geschichte über Geschlechterrollen und Gewalt.
Offener Einlass empfängt das Publikum. In weite, bis zum Hals zugeknöpfte Jumpsuits gekleidet sitzen und stehen eine Schauspielerin und ein Schauspieler am Bühnenende, unterhalten sich leise, gucken sich an und ins Publikum, grinsen, gestikulieren. Ein zeltartig hohes Halbrund aus abwechselnd aneinandergereihten Spiegelflächen und angedeuteten Betten rahmt einen weißen Fellteppich, der fast bis zur ersten Publikumsreihe im Neuen Haus des Berliner Ensembles geht (Ausstattung Rosa Wallbrecher).
Vorne zwei Mikrofone, je eine Perücke darauf. Außer ein paar Requisiten, die die Figuren im Laufe des Abends aus den Matratzenwandritzen ziehen – eine Trompete, einige volle Gläser, ein Vertrag, der auch als Korsage dient, ein Helm, Plastikwaffen –, haben sie nichts. Doch sie haben sich, und das hat was. Gemeinsam zünden sie ein Spiel, das durch seine Virtuosität manchmal sogar abhebt.
„Alias Anastasius“ erzählt von Catharina Margaretha Linck, die sich in Männerkleidern auf den Namen Anastasius Lagrantinus Rosenstengel taufen lässt, als Mann im Spanischen Erbfolgekrieg kämpfte, desertierte und eine Frau heiratete, von der Schwiegermutter verraten und als Frau wegen Unzucht hingerichtet wurde. Auf Basis der von Angela Steidele recherchierten und geschriebenen Biografie hat das Autor:innenduo Matter*Verse aus der Geschichte einen Theatertext für zwei Darsteller:innen in geschlechtergerechter Sprache gemacht, die der nicht binären Identität in einem vierten Personalpronomen Ausdruck verleiht: sier.
Rein in die Rolle, raus aus der Rolle, Perücke rauf, Perücke runter
Der Text bietet keine Figuren, nur zwei Sprechpositionen, „A“ und „B“. So teilen sich Via Jikeli und Max Gindorff die Hauptfigur, mal ist sie Anastasius, mal er Catharina, mal umgekehrt, und übernehmen abwechselnd die Rollen der anderen Figuren. Was sie sagen, vermittelt, wer da spricht. Sie wechseln mit der Haltung die Figur, spielen immer wieder mit ihrem Spiel, rein in die Rolle, raus aus der Rolle, Perücke rauf, Perücke runter, hin zum Mikro, ab ins nächste Kostüm. Gerichtstribunal, Waisenhaus, Ausbruch, Militär, Desertion, Heirat, Verrat, Inquisition. Das geht alles schnell und präzise, und am Ende ist die Geschichte der „Weibsperson oder verstellten Mannsperson, je nachdem“ linear erzählt. Ein schlüssiger Zugriff der jungen Regisseurin Fritzi Wartenberg, die im Rahmen des Nachwuchsförderprogramms „Worx“ am BE ihre zweite Arbeit abliefert.
Denn das Stück besteht aus viel Bericht, wenig Dialog. Adressat ist das Publikum, selten die andere Figur. Nicht zu jedem Botenbericht kann da der Regie ein Bild einfallen. Dabei bleiben mitunter innere Vorgänge auf der Strecke. Sie liefert dafür die Musik von Fabian Kuss mit drei Songs, die uns einen Hauch davon vermitteln, welche Ängste, Schmerzen und Sehnsüchte Catharina-Anastasius durchlitten hat.
Es ist ein Stück von heute für heute über heute. Es gibt einer Generation eine Bühne, die wieder ein Thema hat: sich selbst und die Schwierigkeiten, es zu sein.
Berliner Ensemble/Neues Haus, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte. Tel. 28408155 Termine: 15., 16., 18. März; 2., 3., 6., 8., 13., 17., 19. und 20. April.