Emmanuelle Haïm dirigierte bei den Philharmonikern Händels erstes Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“.

Unter Leitung der französischen Dirigentin Emmanuelle Haïm präsentierten die Philharmoniker am Donnerstag das frühe Händel-Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ (Der Triumph der Zeit und der Erkenntnis). Die Solistenriege war hochkarätig besetzt: Neben der russischen Starsopranistin Julia Lezhneva, die kurzfristig für den Countertenor Franco Fagioli eingesprungen war, gehörten die Französin Elsa Benoit (Sopran), der Brite Iestyn Davies (Countertenor) sowie Anicio Zorzi Giustiniani aus Italien (Tenor) dazu.

Georg Friedrich Händel begab sich 1706 im Alter von 21 Jahren erstmals nach Italien und traf dort auf den römischen Kardinal Benedetto Pamphili, einen ebenso reichen wie musikverständigen Förderer. Pamphili wirkte auch als Dichter und schrieb das Libretto für das im Jahr 1707 entstandene Werk „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“, Händels erstes Oratorium. Händel orientiert sich hier stilistisch an der italienischen kantatenhaften Form der Gattung, weshalb das Stück eher an eine Oper erinnert als seine späteren Oratorien; so verzichtete er in seinem Erstling auch auf den Chor.

Das Oratorium ist ein Streitgespräch zwischen vier Allegorien

Das Libretto ist als Streitgespräch zwischen vier Allegorien aufgebaut: „Disinganno“ (die Erkenntnis) und „Tempo“ (die Zeit) bemühen sich darum, der schönen und leichtsinnigen „Bellezza“ (die Schönheit) die wahren Werte des Lebens zu vermitteln und dem „Piacere“ (das Vergnügen) zu entsagen. Der stereotype Wechsel von Arien und Rezitativen des Werks mag heutzutage etwas schematisch anmuten, wer sich jedoch darauf einlässt, entdeckt ein wunderbares Stück Musik.

Händel-Aufführung mit Julia Lezhneva (von links), Elsa Benoit, Emmanuelle Haïm, Iestyn Davies und Anicio Zorzi Giustiniani in der Philharmonie.
Händel-Aufführung mit Julia Lezhneva (von links), Elsa Benoit, Emmanuelle Haïm, Iestyn Davies und Anicio Zorzi Giustiniani in der Philharmonie. © Bettina Stöss

Vor allem, wenn sie so interpretiert wird wie von Emmanuelle Haïm und den Philharmonikern. Die französische Dirigentin zählt zu den führenden Figuren der Alte-Musik-Szene. Viele Jahre wirkte sie im renommierten Ensemble „Les Arts Florissants“ als Cembalistin und musikalische Assistentin des Ensembleleiters William Christie, später wurde sie Assistentin von Simon Rattle. Dabei mutet ihr Dirigierstil ziemlich unorthodox an. Sie tendiert zu ruckartigen und etwas eckigen Bewegungen und dirigiert auch gerne mal mit der geballten Faust. Doch sie weiß genau, was sie will und versteht es, dies dem Orchester eindringlich zu vermitteln; auch wenn sie vom Cembalo aus dirigiert, dessen Part sie sich mit ihrem Kollegen Benoît Hartoin teilt.

Die Aufführung kann vom ersten bis zum letzten Ton mitreißen

Sehr lebendig und vom ersten bis zum letzten Ton des Werks mitreißend klingt das. Hymnisch eindringlich in den ruhigen Passagen, während das Orchester in den schnellen Sätzen wie ein Wirbelwind durch die Partitur fegt. Die Philharmoniker leisten dabei Beachtliches, allen voran der Konzertmeister Daishin Kashimoto in seinen virtuosen Soli. Die Sänger ebenso. Mit verführerischer Wärme und Fülle ohne jede Grellheiten agierte Elsa Benoit als „Bellezza“, mit engelsgleicher Schönheit formte Julia Lezhneva als „Piacere“ ihre Töne und zeigt dabei farblich wie dynamisch ein enormes Spektrum. Auch die beiden Männer überzeugten.

Iestyn Davies mag als Counter nicht ganz das betörende Timbre eines Philippe Jaroussky mitbringen, dennoch gefielen die Natürlichkeit und die dramatische Gestaltung, mit der er seine Rolle als „Disinganno“ ausfüllte, während der Tenor Anicio Zorzi Giustiniani als „Tempo“ durch eindringliche Expressivität und samtige Tiefe glänzte. Das Publikum in der nahezu voll besetzten Philharmonie bedankte sich für diese überragende Aufführung mit stehenden Ovationen.