Philharmonie

Philharmoniker beschwören Geister mit einem Schamanen

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Mario-Felix Vogt
Paavo Järvi dirigiert die Berliner Philharmoniker.

Paavo Järvi dirigiert die Berliner Philharmoniker.

Foto: Stephan Rabold

Dirigent Paavo Järvi und die Berliner Philharmoniker bringen Hosokawas Violinkonzert „Prayer“ zur Uraufführung.

Wahrlich ein spannendes Programm hatte der estnische Star-Dirigent Paavo Järvi für sein Konzert mit den Philharmonikern zusammengestellt. Als Eröffnungsstück wurde am Donnerstag Olivier Messiaens erstes Orchesterstück „Les Offrandes Oubliées“ aus dem Jahre 1930 aufgeführt. Als zweites Werk stand das Violinkonzert „Prayer“ des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa (Jahrgang 1955) auf dem Programm, das vom langjährigen Konzertmeister der Philharmoniker Daishin Kashimoto an diesem Abend uraufgeführt wurde. Nach der Pause erklang mit Ludwig van Beethovens mächtiger „Eroica“-Sinfonie noch ein klassisches Meisterwerk.

Gerade mal 22 Jahre alt war Olivier Messiaen, als er sich 1930 mit der Sinfonischen Meditation „Les Offrandes Oubliées“ an sein erstes Orchesterwerk wagte. Stilistisch ist dieses Frühwerk noch in der Spätromantik verwurzelt, atmet noch ein wenig den Geist von Messiaens Lehrer Paul Dukas. „Les Offrandes Oubliées“ ist, ähnlich wie ein Altarbild, als religiöses Triptychon angelegt, dabei umranden zwei sanfte Außenflügel ein dominantes Bild im Zentrum.

Järvi und die Philharmoniker agierten im ersten Satz, einer Art Klageliedes, sehr klangsinnlich, vor allem die Streicher klangen hier seidenweich, um dann im zweiten Teil um so kraftvoller zuzupacken. Hier wird nachgezeichnet, wie sich der von Habgier und Eitelkeit zerfressene Mensch auf einen Abgrund zu bewegt, was sich durch schrille Blechbläsertöne und mechanistisch-rigide Rhythmen in der Musik widerspiegelte. Das Orchester wurde da maximal gefordert, bei mittelmäßigen Klangkörpern klingen solche Passagen schnell lärmig, Järvi behielt jedoch den Überblick und ließ die Philharmoniker mit kontrollierter Wucht aufspielen. Im dritten Teil brachte er das Stück schließlich auf einem sanften Streicherteppich wunderbar zum Verklingen, nun ist der Mensch erlöst.

Moderne Klänge verbinden sich mit traditioneller japanischer Musik

Das im Jahre 2022 entstandene Violinkonzert „Prayer“ weist klanglich Verbindungslinien zu Messiaens Tonsprache auf, denn die Musik des 67-jährigen Japaners verbindet Elemente des Impressionismus mit Klängen der Moderne und traditioneller asiatischer Musik. Wie Messiaens Musik sind die Werke des Zen-Buddhisten Hosokawa oft von einer tiefen Religiosität geprägt, wie der Titel „Prayer“ (Gebet) des Violinkonzerts zeigt. „Prayer“ ist als Antwort auf das Unheil unserer Zeit zu verstehen, auf die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg.

In dem Konzert gibt es eine klare Rollenverteilung: Die oft in hoher Lage singende Solovioline verkörpert für Hosokawa einen Schamanen, der die Menschen von bösen Geistern befreien soll, während das Orchester die Natur und den Kosmos darstellt. Kashimoto gestaltete den anspruchsvollen Solopart farbenreich und mit großer packender Intensität, dabei agiert Järvi mit dem Orchester auf Augenhöhe.

Nach der Pause zeigte schließlich der gefeierte Beethoven-Dirigent Järvi, wie sich in der „Eroica“ Strukturbewusstsein und ein von Urkraft geprägtes Musizieren optimal miteinander verbinden lassen. Da begeisterte das fahle Pianissimo im Trauermarsch ebenso wie die weitgespannten Crescendi im Kopfsatz oder die prickelnde Motorik im Scherzo. Verdientermaßen gab es anschließend frenetischen Beifall in der ausverkauften Philharmonie.