Berlin. Expressionismus. Da denkt man an kräftige Farben. Und an das Bestreben in der bildenden Kunst ebenso wie in der Literatur, den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken – und mit künstlerischen Mitteln darzustellen, was in dessen Innern vor sich geht. Doch der expressionische Blick auf das Individuum beschränkt sich nicht auf die künstlerische Strömung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für Furore sorgte. Zentrale Ideen des deutschen Expressionismus wurden weiterentwickelt, wirkten sich auch auf die bildende Kunst nach 1945 aus – in Ost und West. Aber auf unterschiedliche Art und Weise.
Das veranschaulicht die Ausstellung „Menschenbild – der expressionistische Blick“, die in den Räumen der Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank zu sehen ist. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf figürlichen Werken, die in den 1980er- und 1990er-Jahren in West-Berlin und Ostdeutschland entstanden sind. Leihgaben der Kunststiftung Michels ermöglichen darüber hinaus Einblicke in künstlerische Positionen des frühen 20. Jahrhunderts.
In der Volksbank-Kunstsammlung stehen von Beginn an figürliche Arbeiten im Mittelpunkt. Begründet einst unter dem Leitbild „Bilder vom Menschen, Bilder für Menschen“, bildet dieses Credo bis heute die konzeptionelle Grundlage. Auch im Expressionismus und seiner Weiterentwicklung spielte das Figürliche stets eine große Rolle. „Da begegnen sich die Inhalte unserer Sammlung und das Anliegen des Expressionismus“, sagt Ferial Nadja Karrasch, Pressesprecherin der Stiftung. So ist es geradezu folgerichtig, dass im Kunstforum Gemälde und Skulpturen ausgestellt sind, die das Menschenbild der Expressionisten – von den Anfängen bis zu den „Neuen Wilden“ – ins Blickfeld rücken.
Die Arbeiten sollen das Lebensgefühl der Menschen zeigen
Arbeiten von Paula Modersohn-Becker, Max Pechstein und Alexander Gerbig sowie von Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Georg Kolbe und Otto Gleichmann zeigen das Bild des modernen Menschen, der sich in einer durch die Industrialisierung und später durch den Ersten Weltkrieg veränderten Gesellschaft neu orientiert. Ob in einer skizzenhaften Aktstudie auf Papier, die kantig und in leicht verzerrter Form erscheint, oder in einer in Bronze gegossenen Skulptur, die das Körperideal einer anmutigen Frauenfigur verdeutlicht: „Die Künstler der ersten und zweiten Generation des deutschen Expressionismus erheben die menschliche Figur zur Trägerin mannigfacher Emotionen. Dabei veranschaulichen insbesondere die Skulpturen von Barlach und Kollwitz die Spuren, die die drastisch veränderte Zeit im Menschen hinterlassen“, erklärt Karrasch.
An diese Vorbilder anknüpfend, seien in den 1980er-Jahren in Ost und West ausdrucksstarke Arbeiten entstanden, „in denen die menschliche Figur das individuelle Lebensgefühl der Künstler transportiert“. Die Ausstellung zeigt, dass die Ausgangspunkte in Ost und West aber unterschiedlich waren. „Im Westen kristallisierte sich nach einer Zeit der Abstraktion die Figur erst langsam wieder heraus“, erläutert Karrasch.
Insbesondere in den Arbeiten von Markus Lüpertz und Max Kaminski könne man erkennen, „wie sie sich freikämpfen von der Abstraktion, wie sich die Figur wieder klar herausschält“. Lüpertz gilt als Wegbereiter des figürlichen Expressionismus im Westen. Noch deutlicher wurde die Hinwendung zum Figürlichen bei den „Neuen Wilden“, darunter die Berliner Künstler Rainer Fetting, Salomé und Elvira Bach. „Das sind Künstler, deren Arbeiten sich durch farbliche Intensität auszeichnen und durch die Konzentration auf die Erkundung des Selbst. Die Figuren erzählen von der Gefühls- und Lebenswirklichkeit ihrer Schöpfer“, sagt Ferial Nadja Karrasch.
Von Norbert Bisky stammt das Titelbild
Auch bei den Kunstschaffenden aus dem Osten Deutschlands standen der Mensch, seine Emotionen und sein Erleben im Fokus. Beispielhaft hierfür steht Norbert Bisky. Von ihm stammt das Titelbild der Kunstforum-Ausstellung – ein männlicher Akt aus dem Jahr 1993, den Bisky mit expressivem Pinselstrich malte. Die ostdeutschen Künstler arbeiteten ihre Figuren schon früh konkreter heraus als ihre westdeutschen Kollegen, was unter anderem die Arbeiten von Wolfgang Mattheuer deutlich zeigen.
Dass die Kunst in der DDR stärker figürlich war, liegt unter anderem in der staatlich verordneten Darstellung des sozialistischen Menschen begründet. Vielfach sei es den Künstlern aber darum gegangen, sich vom sozialistischen Realismus zu lösen und sich einer expressionistischen Arbeitsweise zuzuwenden, erklärt Karrasch. So würden unter anderem die Arbeiten von Werner Liebmann, Angela Hampel, Hartwig Ebersbach, Hans-Hendrik Grimmling und Ellen Fuhr von einer kritischen Auseinandersetzung mit dem von staatlicher Seite propagierten Menschen- und Weltbild zeugen.
Gut vertreten sind in der von Anja Mosbeck kuratierten Ausstellung weibliche künstlerische Positionen. Genannt seien hier beispielhaft die farbenfrohen Arbeiten von Elvira Bach und Barbara Quandt, aber auch die sehr düstere Szene mit dem Titel „Mauer“ aus ihrer Serie „Mauerstadt“.
Museums-Info
„Menschenbild – der expressionistische Blick“ Die Ausstellung läuft bis 18. Juni in der Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank, Kaiserdamm 105, Charlottenburg, Tel. 30 63 17 44, Di.–So. 10–18 Uhr, Karten kosten 4, erm. 3 Euro, www.kunstforum.berlin