Die Neuinszenierung von Richard Strauss’ „Daphne“ an der Staatsoper Unter den Linden hat schon ihren lyrischen Atem. Aber es ist ein sehr kalter Atem. Er führt zu Verrätselungen und Überdeutungen. Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Romeo Castellucci füllte seine Inszenierung vor allem mit nordischer Kargheit, Gefühlsleere und Unsinnlichkeit. Die Natur ist im Winterschlaf. Es schneit und schneit – vermutlich gut eine Stunde lang bei einer Aufführungsdauer von eindreiviertel Stunden. Am Ende der Premiere am Sonntag sah sich der italienische Kultregisseur gefeiert. Es gab kein einziges Buh. Auch das war merkwürdig an diesem Abend.
Als eine bukolische Tragödie in einem Aufzug war Strauss’ Oper „Daphne“ 1938 in Dresden uraufgeführt worden. Im griechischen Mythos wird Daphne, Tochter des Flussgottes Peneios, vom liebestollen Apollon gestalkt. Auf der Flucht lässt sich Daphne vom Vater in einen Lorbeerbaum verwandeln. Apollon will in ihre Haare greifen und hat Lorbeerblätter in den Händen. Seither kennen wir den Lorbeerkranz. Der Mythos der blütenhaften Unschuld war in der Frühzeit der Gattung Oper einer der beliebtesten Stoffe. Strauss wollte mehr Psychologie in den Mythos einbringen. Daphne hat sich aus der Gesellschaft in die Natur zurückgezogen, obendrein es ist eine mörderische Dreiecksgeschichte geworden.
Die Handlung beginnt im griechischen Altertum vor der Hütte des Peneios. Die Hirten freuen sich auf das Fest des Dionysos. Aber die lustvolle Freude hält sich bei den mehr oder weniger vermummten Gestalten in der Staatsoper in Grenzen. Castellucci hat Griechenland unterm Schnee vergraben, zwischendurch tauchen Relikte vergangener Zeiten wie ein Fries oder eine Büste auf. „Daphne“ ist eine Operndystopie. In Berlin könnte man fast einen Trend ausmachen, konfliktreiche Opernstoffe im Eis zu versenken. An der Komischen Oper war zu Saisonbeginn Luigi Nonos politisch heißblütige „Intolleranza 1960“ in einer Eiswüste erstarrt. Das Klischee der kalten Gesellschaft ist schon reichlich abgegriffen.
Die junge, verletzliche Frau geht lieber eine Symbiose mit einem Baum ein
Von der Daphne-Darstellerin Vera-Lotte Boecker wissen wir, dass der Regisseur sie am liebsten nackt in der Schneelandschaft gehabt hätte. Die Idee hat sie nicht überzeugt. Auch leicht bekleidet wird schnell klar, dass es sich um eine überaus verletzliche, vor der harten Männerwelt schützende junge Frau handelt, die lieber eine Symbiose mit einem kargen Baum eingeht. Vera-Lotte Boecker kann ihren anmutigen Sopran wundervoll einsetzen, das zunehmend Dramatische der Partie fällt ihr hingegen schwerer. Aber sie ist der Lichtblick in dieser Produktion. Stimmlich auftrumpfend kann sich Anna Kissjudit als Mutter Gaea in Szene setzen. René Papa bleibt als Vater Peneios diesmal hinter den Erwartungen.
Die Dreiecksgeschichte spielt sich zwischen Sonnengott Apollo, der inkognito als Rinderhirte auf der Bühne erscheint, Daphne und ihrem Jugendgespielen Leukippos statt. Es gibt kein Frühlingserwachen. Der Regisseur unterzieht die ängstliche Daphne beim Fest einer „Opferweihe“, Leukippos ist als Mädchen verkleidet dabei, um sich ihr nähern zu können. Der empörte Apollo tötet ihn. Leider kann Pavel Cernoch die jugendliche Heldentenor-Partie nicht ausfüllen, es fehlt ihm an durchdringender Höhe. Magnus Dietrich, ein junger Stipendiat des Opernstudios, kann Leukippos ein glaubwürdig kindlich-stürmisches Format ersingen.
Die Staatskapelle gibt sich unter Leitung von Thomas Guggeis viel Mühe, gegen die Kälte auf der Bühne anzuspielen. Es ist ein gelungener sinfonischer Fluss zu hören, der allerdings den kammermusikalischen Zauber der Partitur übergeht. Die späte „Daphne“ ist leider nicht der große Strauss-Wurf. Seine Großwerke „Elektra“, „Rosenkavalier“ oder „Salome“ – mit letzterer Oper hatte Guggeis 2018 als Barenboim-Assistent kurzfristig einspringend an der Staatsoper für Furore gesorgt – bieten weit mehr Klangüberraschungen.
Die Titelseite von T.S. Eliots „The Waste Land“ wird auf der Bühne gezeigt
Der Regisseur ist auch sein eigener Lichtgestalter. Gegen Ende seiner Götterdämmerung taucht eine schwarze Sonne am Himmel auf. Für einen Moment glaubt man, mit dem nordischen und späteren Nazi-Symbol wird auf die komplizierte Stellung des Komponisten im Dritten Reich aufmerksam gemacht. Aber das hat Castellucci nicht im Sinn. Dafür fährt irgendwann die riesige Titelseite des Erstdrucks von T.S. Eliots „The Waste Land“ aus dem Schnürboden herunter. Der Literaturnobelpreisträger schrieb das 433 Zeilen lange anspielungsvolle Gedicht 1922. Mit der Titelseite von „Das wüste Land“ will Castellucci quasi seine prophetische Inszenierung erklären. Möglicherweise ist es erhellender, das Gedicht zu lesen als in die Oper zu gehen.
Staatsoper Unter den Linden, Mitte. Tel. 20354555. Termine: 23.2., 2., 5., 9., 12. und 18.3.