Philharmonie

Dirigent Christian Blex: „Man braucht Fledermausohren“

| Lesedauer: 6 Minuten
Volker Blech
Dirigent Christian Blex.

Dirigent Christian Blex.

Foto: Maurizio Gambarini / FUNKE Foto Services

Dirigent Christian Blex (29) ist Assistent von Kirill Petrenko und gibt sein Debüt in der Berliner Philharmonie.

Der 29-jährige Dirigent Christian Blex gibt am Sonntag sein Debüt im Konzert der Karajan-Akademie in der Philharmonie. Der Assistent von Chefdirigent Kirill Petrenko stellt neben Mahlers Vierter auch Bernd Alois Zimmermanns Konzert für Streichorchester und den Liederzyklus „Japanischer Frühling“ von Ludvig Irgens-Jensen vor. In dieser Saison kommt Blex vor allem für Projekte nach Berlin, in der kommenden wohnt er auch in der Stadt. Sein zweijähriges Stipendiat hat er in einem schwierigen Auswahlverfahren errungen. Es gab 189 Bewerber aus 30 Ländern beim Siemens Conductors Scholarship. Oscar Jockel heißt der andere Stipendiat, mit dem er sich abwechselt.

„Als Assistent ist man ein extra Paar Ohren“, erklärt Blex seine Funktion. „Ich sitze in der Philharmonie und schreibe alles was mir auffällt mit. Man äußert sich anschließend über Balance, Zusammenspiel oder Artikulation. Die Ansprüche der Philharmoniker und Kirill Petrenkos sind hoch, also muss man Fledermausohren haben und konzentriert sein.“ Die Philharmoniker sind für ihn ein sehr modernes Orchester. „Ich habe das Gefühl, in dem Haus ist jeder dynamisch und jeder will, dass die Konzertabende gut werden.“

Derzeit lebt Christian Blex, der in Mühlheim an der Ruhr geboren wurde, aber bei Koblenz aufgewachsen ist, hauptsächlich in Norwegen. Es hat mit seinem ungewöhnlichen Werdegang zu tun. „Mein Weg zur Musik war ein bisschen auf Umwegen“, sagt er. „Als Kind hatte ich Klavierunterricht, habe dann aber irgendwann angefangen Gitarre zu spielen. In meinen Teenagerjahren habe ich sehr viel Rock und Jazz gespielt. Von Frank Zappa bis Bob Dylan habe ich alles geübt, bis die Finger geblutet haben. Fast zeitgleich habe ich im Musikunterricht das ,Tristan’-Vorspiel zum ersten Mal gehört.“ Normalerweise konnte er auf der Gitarre alles nachspielen. Aber den Tristan-Akkord?

Auf lustigen Umwegen kam der Student der Warwick Universität ans Pult

Zwar dachte Blex auch über das Dirigieren nach, studierte aber etwas ganz anderes. An der Warwick Universität machte er seinen Bachelor in Philosophie, Politik und VWL, in Cambridge folgte der Master in Ökonomie. In Oxford begann er an seiner Promotion zu schreiben. „In England gibt es eine rege Studenten-Amateurmusikwelt“, sagt er. „Auf lustigen Umwegen bekam ich ein bisschen Dirigierunterricht und geriet sofort an ein Ensemble, weil alle anderen Dirigenten gerade weg waren. Ich habe in Warwick die Studentenoper übernommen und hatte plötzlich ,Die lustige Witwe’ vor der Nase.“

Mit seinen Eltern hätte er eine Art Abmachung gehabt, sagt Blex, „dass ich bis zum Master etwas Vernünftiges studiere. Danach kann ich aber machen, was ich will. 2019 habe ich also in Oslo angefangen, Dirigieren zu studieren. Mein Lehrer dort ist fantastisch und man hat dort gute Programme für Dirigenten, meines hat den Namen Dirigentløftet. Die bauen dort richtig was auf.“ Er studiert auch auf Norwegisch.

In Berlin kennt er sich gut aus, weil Familie von ihm hier wohnt. „Wenn ich in Mitte bin, überwältigt mich immer wieder die geballte Geschichte auf vergleichsweise engem Raum. Allein, wenn ich daran denke, was hier in den 1920er-Jahren los war“, sagt er. „Ansonsten ist Berlin heute eine wahnsinnig pulsierende Stadt. Das gilt nicht nur für New York, London oder Paris. Mir gefällt die – ich nenne es mal – starke Ehrlichkeit der Berliner. Das genieße ich manchmal, weil es oft etwas Humorvolles hat.“ Bei der Frage nach der Partystadt winkt er desinteressiert ab. „Wenn ich hier bin, dann bin ich hauptsächlich in der Philharmonie.“

Das Herz des jungen Dirigenten schlägt vor allem für das Musiktheater

Einige Male habe er bereits mit Kirill Petrenko gearbeitet, sagt er. „Die Arbeit ist extrem inspirierend, weil es nie um das Ego geht, sondern immer um die Musik. Das Ganze geschieht auf sehr menschliche Weise.“ Und dann erklärt Blex die Hausforderung. „Wenn jemand immer so gut vorbereitet ist und man ihm assistieren soll, dann muss man selber auch exzellent vorbereitet sein. Sonst kann man nicht helfen. Er fordert auf respektvolle Weise viel von einem.“

Zweifellos gehört Christian Blex zur neuen Dirigenten-Generation, der man aufmerksam zuhören sollte. Zum Musikbetrieb könne er so viel noch gar nicht sagen, meint er, weil er noch zu kurz dabei sei. „Ich denke aber, wir alle müssen in der Vermittlung besser werden. Wenn wir auf Teenager zugehen, dann müssen wir sie ein bisschen ernster nehmen als wir das heute manchmal tun. Wir waren alle mal Teenager und wissen, dass man nicht als unmündiges Kind behandelt werden möchte. Ich glaube, es ist perfekt, Teenagern gerade Schostakowitsch oder auch Mahler vorzuspielen. Das sind große wilde Gefühlswelten mit so viel Wut und Schmerz – damit kann sich jeder Teenager identifizieren.“

Darüber hinaus glaubt er, dass wir selbstbewusster zu unserem musikalischen Erbe stehen sollten. „Es ist ein Privileg in der westlichen Welt. Was wir haben, ist gesellschaftlich wichtig und künstlerisch gut.“ Was das Repertoire angeht, glaubt er, müsse jeder Dirigent seinen eigenen Weg gehen. „Es ist auch eine persönliche Identitätsfrage“, sagt Blex. „Ich halte mich offen und schaue auch mal in die Renaissance oder den Barock. Abgesehen vom großen Standardrepertoire finde ich die verlorene Generation mit Zemlinsky, Schreker, Braunfels oder Korngold sehr spannend. Die Komponisten wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vergessen und erleben eine kleine Renaissance.“ Offenbar schlägt sein Herz vor allem für die Oper.

Philharmonie/Kammermusiksaal Termin: 5.2. um 20 Uhr