25 Jahre Deichkind: Am 17. Februar erscheint das achte Album der Band, Titel: „Neues vom Dauerzustand“. Am 23. September tritt das Trio in der Wuhlheide auf. Im Interview erzählen die zwei Bandmitglieder Kryptik Joe und Porky vom Altwerden und dem Einfluss der Corona-Pandemie.
Zu Beginn der Pandemie war zunächst Schluss mit Musik und Entertainment. Auch ihr habt euch zurückgezogen. „Wer Sagt Denn Das“ war gerade erst erschienen. Wie kam es jetzt doch dazu, dass ihr ein neues Album rausgebracht habt?
Kryptik Joe: Wir waren auf Tour und die Pandemie hat sich schon angekündigt. Wir haben alles erst gar nicht ernst genommen.
Porky: Da haben wir noch massiv gelacht, als es hieß „kauft Thunfisch“ und so.
Kryptik Joe: In der Schweiz waren wir dann die letzten, die noch auftreten durften, bevor große Veranstaltungen verboten wurden. Da hatten wir richtig Glück. Dann war erstmal Lockdown – alles war ganz anders. Es hat sich Systemirrelevanz bei uns eingeschlichen. Alles war eingefroren.
Porky: Aber dann haben wir schnell einen Plan geschmiedet: Was passiert, wenn bald alle wieder auftreten können? Wenn wir dann mit einem neuen Album zurückkommen, brennen wir alles nieder – im positiven Sinne. Die Welt ist jetzt auch eine andere. Dazu wollten wir gerne unseren Beitrag bringen.
Wie hat euch die Pandemie verändert?
Kryptik Joe: Die Wurzeln, wo wir herkommen, waren überdeckt vom Erfolg. Im Lockdown konnte man sich wieder darauf zurückbesinnen, wofür man eigentlich angetreten ist: Zum Musik machen.
Porky: Das hast du schön gesagt!
Kryptik Joe: Das war gar nicht so einfach, weil man sich kulturmäßig irrelevant gefühlt hat. Ich habe mich gefragt: Soll ich jetzt über die Pandemie schreiben? Es ging ja um nichts anderes mehr. Oder ist sowieso alles vorbei? Soll ich nicht lieber einen Buchladen aufmachen und Tischler werden?
Porky: Einen Buchladen aufmachen und Tischler werden, das ist so wie: Ich mache eine Apotheke auf und verkaufe Gulasch. Man merkt: Wir kennen uns schon seit 30 Jahren, wir sind wie ein altes Ehepaar.
Deichkind gibt es jetzt schon seit 25 Jahren. Was hat sich an eurer Musik im Laufe der Zeit verändert?
Porky: Da wir keine Egos in der Band haben, schreiben wir ja nie über uns, sondern immer darüber, was wir in der Welt beobachten. Das heißt: Mit dem Tagesgeschehen ändern sich auch die Songs. Aber unseren eigenen Sound, wie jede Band, haben wir dann doch. Auch die Herangehensweise ist die gleiche.
Als ihr die Band gegründet habt, wart ihr Anfang 20. Jetzt seid ihr Mitte 40. Wie habt ihr euch verändert?
Porky: Eigentlich gar nicht. Unser Charakter ist mehr zum Vorschein gekommen. Das zeigt, dass wir eigentlich immer die gleichen sind. Unsere Persönlichkeit passt sich natürlich dem Alter und der Gesellschaft an, aber eigentlich sind wir immer gleich.
Kryptik Joe: Man kann es ganz gut an dem Song „Kids In Meinem Alter“ hören, wie wir uns damit auseinandersetzten, dass wir immer noch die Berufsjugendlichen sind.
Porky: Ich habe eben Promoter gefragt, ob er mir Magnesium aus der Apotheke mitbringen kann. Ich habe einen Krampf im Brustkorb, weil ich schief in der Bahn geschlafen habe. Das hätte ich früher nicht gemacht.
Kryptik Joe: Man muss auch vor dem Sport mehr Stretching machen.
Porky: Aber einen Herzinfarkt gab’s noch nicht.
Was ist euch jetzt, im Vergleich zu früher, wichtig?
Porky: Kein Drama mehr, bitte. Mir ist wichtig, dass man sofort sagt, was stört.
Kryptik Joe: Dem Erfolg hinterherrennen ist mir nicht mehr so wichtig. Vielleicht bin ich ein bisschen altersweiser geworden, oder einfach relaxter, aber früher hatte ich beim Album Cover oder der ersten Single ganz klare Vorstellungen und Kriterien im Kopf. Jetzt sage ich mir: Es ist eine Entscheidung von uns dreien, das ist dann einfach so. Ich mache Musik. Das, was mir am meisten gefällt und das, was ich kann. Ich lasse einfach alle an meiner kreativen Reise teilhaben.
Ihr seid bekannt für eure Musikvideos, gefüllt von skurrilen Bildern – warum ist euch das so wichtig?
Kryptik Joe: Es erzeugt Reibung. Es ergibt einfach etwas unglaublich Interessantes. Diese Investition in das Visuelle ist ein wichtiger Bestandteil von Deichkind, den ich zwar lange Zeit gar nicht richtig verstanden habe, aber es verleiht dem Ganzen dieses Besondere.
Wen wollt ihr mit eurer Musik erreichen?
Porky: Alle. Es geht bei der Musik zwar um uns, sie ist aber an alle gerichtet. Es geht darum, jungen Leuten zu zeigen, wie das Leben mit 40 ist. Genauso den Älteren zu sagen, in welchem Stadium wir gerade angekommen sind. Es ist ein dadaistischer Einblick in die Anfang-40er, für alle.
Kryptik Joe: Wir wollten vom ersten Album an Pop sein. Wir sind sehr kryptisch, seltsam und strange. Ich habe aber trotzdem immer im Kopf, viele Streams zu bekommen, es in die Charts zu schaffen und viele Tickets zu verkaufen. So wollen wir natürlich gerne auch 20-Jährige erreichen. Auch die Kinder von den 40-Jährigen, so dass die mit ihren Eltern zusammen auf das Konzert kommen. Das ist eine Mischkalkulation. Wir bewegen uns zwischen Kunst und Marketing.
Was genau heißt „Neues Vom Dauerzustand“?
Kryptik Joe: Das ist für mich der Zipfel des Zynismus. „Dauerzustand“ ist einfach das, was wir machen; es ist unser achtes Album. So ist es bei uns, aber auch in der Welt. Wir gehen von Krise zu Krise. Das nimmt kein Ende. Das ist der Dauerzustand.
Wie würdet ihr eure Musik in einem Wort beschreiben?
Kryptik Joe: Seltsam.
Porky: Seltsam extrovertiert. Es ist extrovertierte Musik von introvertierten Leuten.