Es bläst ein neuer konservativer Wind bei den Berliner Philharmoniker. Mehr Fokus auf dem klassisch-romantischen Kernrepertoire, intensivere Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit. Und nicht zuletzt: einfacher nachvollziehbare Programm-Kombinationen, die gleichwohl ausgefeilt und anspruchsvoll anmuten.
So auch an diesem Donnerstag in der Philharmonie unter Chefdirigent Kirill Petrenko. Es ist ein Abend mit Schönbergs „Variationen für Orchester“ op. 31, flankiert von Brahms‘ Haydn-Variationen op. 56a und Beethovens Sinfonie Nr. 8 op. 93.
Die Werke von Beethoven, Brahms und Schönberg stehen in Verbindungen
Ein Abend der zahlreichen Verbindungen: Da ist Schönberg, der sich stark von Beethovens und Brahms‘ Variationskunst hat beeinflussen lassen. Und da sind Brahms und Beethoven, die an diesem Abend beide an Joseph Haydn erinnern. Brahms tut es direkt, indem er acht Variationen über ein Haydnsches Choralthema schreibt. Beethoven dagegen spielt indirekt auf Haydn an: formal durch den Rückgriff aufs Menuett und durch die auffällig kurze Gesamtdauer von 25 Minuten, die eher für Haydn-Sinfonien typisch ist. Aber noch wichtiger: der Haydnsche Humor, der in allen Sätzen durchblitzt. Inklusive plötzlicher Akzente und dynamischer Kontraste, überraschender Modulationen und abrupter Fermaten.
Bemerkenswert auch die unterschiedliche Stellung der beiden Kompositionen im Schaffen von Brahms und Beethoven. Während sich Beethoven mit der Achten auf dem Höhepunkt seiner Sinfonik befindet, nutzt Brahms die Haydn-Variationen quasi als Vorübung für seine später folgenden Sinfonien.
Die Philharmoniker befinden sich bei Brahms zunächst im Werkstatt-Modus
Und genauso wirkt dieses Brahms-Werk jetzt bei Petrenko und den Philharmonikern: wie eine sinfonische Studie, beherrscht von Ernst und Gelehrsamkeit. In den ersten fünf Variationen befinden sich die Philharmoniker noch im Werkstatt-Modus. Sie sind mit der Feinabstimmung beschäftigt, suchen nach der geeigneten Balance. Erst ab Variation 6 geht es richtig los. Plötzlich wirkt diese Musik verständlich und lebendig, plötzlich sind Brahms‘ Variationstechniken gut nachvollziehbar. Was allerdings auch daran liegt, dass sich Brahms im zweiten Teil seines Variationszyklus dichter an das eingängige Haydn-Thema hält.
Und Schönbergs „Variationen für Orchester“? Vor knapp 95 Jahren haben die Philharmoniker dieses Werk unter Wilhelm Furtwängler uraufgeführt. Damals war es ein Misserfolg, heute bekommt es sogar mehr Applaus als Brahms. Petrenko scheint die Musiker intensiv vorbereitet zu haben auf die haarsträubend schwierige Partitur. Alles ist geputzt, alles glänzt. Die Philharmoniker vereinen Präzision mit Klangsinnlichkeit, intime Gesten mit hellwacher Artikulation. Kurzum: eine gelungene Werbung für Schönbergs Zwölftonmusik, die zwar nach wie vor fremd wirkt, aber sehr faszinierend. Und irgendwie ist es das Hauptwerk des Abends.
Faszinierend auch, wie unterschiedlich Petrenko die einzelnen Sätze von Beethovens Sinfonie Nr. 8 gestaltet. Musikantisch das tickende Allegretto scherzando, dickbäuchig das Menuett. Der Kopfsatz lächelt mal streng, mal verträumt. Und das Kehraus-Finale schlägt humorvolle Haken.