80. Geburtstag

Daniel Barenboim: Pianist, Dirigent und Weltbürger

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Volker Blech
Der Pianist, Dirigent und Akademiegründer Daniel Barenboim.

Der Pianist, Dirigent und Akademiegründer Daniel Barenboim.

Foto: ©Fred Toulet/Leemage / picture alliance

Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden, feiert seinen 80. Geburtstag.

Berlin. Daniel Barenboim ist einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit. In Berlin feiert er heute seinen 80. Geburtstag, zugleich blickt die Staatsoper auf das 30-jährige Jubiläum ihres Generalmusikdirektors zurück. 760 Opern- und Ballettaufführungen, rund 850 Konzerte, darunter gut 450 Auftritte bei weltweiten Gastspielen mit der Staatskapelle gehören zu Barenboims Bilanz. Gemeinsam gastierte man in 80 Städten und rund 100 Theatern und Konzertsälen. Die Zahlen gelten allein für sein Berliner Haus, man kann ahnen, welche Spuren der Pianist und Dirigent international bereits hinterlassen hat. Das Magazin „The New Yorker“ bezeichnete ihn einmal als den wichtigsten lebenden Klassikmusiker der Welt.

Das musikalische Genie aus Buenos Aires hat schon jung auf sich aufmerksam gemacht. Bereits mit sieben Jahren gibt Barenboim sein erstes öffentliches Klavierkonzert, mit elf nimmt er in Salzburg an Dirigierklassen teil. Schnell wird er ein weltweit gefeierter Virtuose, schließlich Musikdirektor großer Orchester und Opernhäuser. Als Humanist gründet er das West-Eastern Divan Orchestra, in dem junge Musiker aus Israel und arabischen Ländern den Frieden proben sollen.

Drei Jahrzehnte lang leitet Barenboim jetzt als Generalmusikdirektor die Geschicke der Staatsoper Unter den Linden. Es begann Silvester 1991 mit Beethovens 9. Sinfonie, es folgte im Herbst 1992 Wagners „Parsifal“ als erste Opernproduktion. Er hat künstlerisch höchste und strenge Maßstäbe an seine Staatskapelle gesetzt und konnte das Opernhaus in nur wenigen Jahren in den Kosmos der international wichtigen Häuser zurückkatapultieren. Beiläufig gehört er zu jenen, die mithalfen, die Ost-West-Teilung in vielen Köpfen zu überwinden. Der Name Barenboim war schnell mit der Musikstadt Berlin verbunden. Beide Seiten haben mit Glanz und Gloria davon profitiert.

Denn der Künstler konnte über sein Opernhaus hinaus in der Stadt, die sich nach der Wiedervereinigung auch in der Kultur in Neuverteilungs- und Spardiskussionen aufrieb, stabile Pflöcke einschlagen. Immer wenn die Politik mit einem Kulturabbau drohte, erhob der Stardirigent mahnend die Stimme. Er forderte und fordert immer wieder ein, dass die musikalische Bildung, ob in Kindergarten, Schule oder bei den Orchestern, stärkere Beachtung finden müsse.

Neue Dirigenten in Berlin müssen sich immer an Barenboim messen

Barenboim ist eine starke und auch eigensinnige Persönlichkeit, hinter der sich andere Akteure gerne sammelten, anderseits reiben sich seine Widersacher immer wieder an ihm. Allein seine Gegenwart in der Stadt bewirkt, dass sich über Jahrzehnte hinweg Neubesetzungen an den Dirigentenpulten irgendwie an ihm messen müssen. Es hat die musikalische Qualität in der Stadt angehoben.

Als Kind einer jüdischen Einwandererfamilie ist Daniel Barenboim 1942 in Buenos Aires geboren worden. Aus der argentinischen Hauptstadt stammen drei echte Weltstars: Papst Franziskus, Maradona und eben Barenboim. Aber bereits 1952 ist er mit seiner Familie, die kein Hebräisch sprach, nach Israel übergesiedelt. Während seiner Zeit auf dem Gymnasium in Tel Aviv begann sich Barenboim für Philosophie zu interessieren. Als Bildungsbürger und Kosmopolit ist er von Spinoza, Kierkegaard und anderen Philosophen mitgeprägt. Er legt Wert darauf, dass seine jungen Musiker in der später gegründeten Barenboim-Said Akademie auch in philosophischen und damit politischen Fragen unterrichtet werden.

Wilhelm Furtwängler nannte den elfjährigen Barenboim ein Phänomen

Legenden gehören zu jedem Künstlergenie. Im Sommer 1954 hat der große alte Dirigent Wilhelm Furtwängler, der wenig später verstarb, den jungen Pianisten in Salzburg kennengelernt. „Der elfjährige Daniel Barenboim ist ein Phänomen“, lautet sein vielzitiertes Urteil. Der Brief wurde für den jungen Künstler zum Empfehlungsschreiben. Furtwängler lud ihn auch ein, mit den Berliner Philharmonikern zu spielen. Mit Blick auf die Shoa hatte Barenboims Vater, der zugleich sein Klavierlehrer war, es abgelehnt. Die Zeit war aus seiner Sicht noch nicht reif dafür.

Es ist unmöglich, die Vielseitigkeit oder auch nur die Höhepunkte in Daniel Barenboims künstlerischem Wirken zu erfassen. Alles fand irgendwo zwischen Nord- und Südamerika, Asien, dem Nahen Osten und Europa statt. Vergleichsweise wenige Japantourneen hat er gemacht, was auch damit zusammenhängt, dass er unter Jetlag leidet und dann vor Ort tagelang griesgrämig ist.

Aber selbst für Berlin sind die künstlerischen Höhepunkte nur unzureichend zu benennen. Er dirigiert neben Konzerten seiner Staatskapelle auch die Philharmoniker, deren Chefdirigent er zeitweilig gerne geworden wäre. Er präsentierte Zyklen mit Mahler, Beethoven oder Wagner bei seinen „Festtagen“, zu denen ein internationales Publikum anreiste.

Barenboim kann das Magische der Musik heraufbeschwören

Bei „Staatsoper für alle“ empfängt er alljährlich zigtausende Besucher auf dem Bebelplatz, mit dem West-Eastern Divan Orchestra sorgte er zuletzt in der Waldbühne für ein Großereignis. Aber weniger die Fülle der Highlights ist das Entscheidende, sondern dass Barenboim ein Ausnahmekünstler ist, der das Magische der Musik heraufbeschwören kann.

Seine Kräfte hat er dafür nie geschont. Es gibt den Running Gag, wonach Barenboim mal wieder drei Konzerte an einem Tag spielen würde. Da steckt viel Wahrheit drin. Meine Lieblingsanekdote über den Vielbeschäftigten spielt in Sevilla, wo ich für eines seiner raren Interviews mal schnell hinkommen konnte. Zwischen Probe und Konzert sollte es stattfinden. Die Probe überzog der Dirigent, dann folgte eine gründliche Auswertung auch mit den Solisten.

Auf dem Flur vertiefte er sich in ein Gespräch mit Honoratioren der Stadt. Plötzlich bog er in einen Nebenraum ab, wo ihm ein spanischer Klaviereleve vorspielte. Mit dem vielleicht zehnjährigen Jungen sprach er lange. Zehn Minuten vor Konzertbeginn erreichte er sein Dirigentenzimmer. Es kostete den Assistenten schon Mühe, den Dirigenten zu überreden, das Interview besser auf den nächsten Morgen zu verschieben. Das Publikum wartete bereits im Saal.

Die Berufung Barenboims nach Berlin war auch ein politisches Statement

Es gibt einen Schnappschuss aus dem Jahr 2006, als Barenboim den Toleranzpreis des Jüdischen Museums verliehen bekam. Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach ihm in sein rechtes Ohr, auf der anderen Seite stand Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ebenfalls ihre Hand auf Barenboims Arm legte. Eine eng vertraute Runde. Richard von Weizsäcker hatte den großen Künstler nach Berlin an die Staatsoper vermittelt. Es war auch ein Statement des Bundes, dass das wiedervereinigte Deutschland den Juden offen gegenüber stehe.

Dennoch musste Barenboim in den späten 1990er-Jahren die antisemitischen Erfahrungen machen, die bereits seine großen Vorgänger in Berlin durchlebt hatten. Felix Mendelssohn Bartholdy hielt sich lieber im toleranteren Leipzig auf, Jakob Liebmann Meyer Beer schrieb in Paris als Giacomo Meyerbeer Operngeschichte und Amtsvorgänger Leo Blech floh schließlich vor den Nazis von der Staatsoper nach Riga und Stockholm. Barenboim blieb unbeirrt im Amt – trotz unguter Äußerungen aus bestimmten West-Berliner Milieus. Entschuldigungsrituale beendete er mit dem Hinweis, über ihn künftig nur noch als Dirigenten und Pianisten zu sprechen und das Judentum beiseite zu lassen.

Sein humanistisches Weltbild ist durch die Musik geprägt

Wer dem Musiker auf Augenhöhe begegnet, kann sich seiner Nähe und Unterstützung sicher sein. Mit seiner Kindheitsfreundin, der Starpianistin Martha Argerich, ist er seit Jahrzehnten verbunden. Der Pariser Jugendfreund Zubin Mehta bleibt ein enger Weggefährte, auch wenn das gemeinsame Geburtskonzert wegen Barenboims neurologischer Erkrankung verschoben werden musste.

Dem Tenor Rolando Villazón blieb der Dirigent auch nach dessen Stimmkrise treu. Dem hippeligen Pianisten Lang Lang gab er erste Tipps, wie man im Klassikbetrieb die Nerven behält. Barenboim hat vielen Assistenten Wege geebnet. Auch die beiden Dirigenten Christian Thielemann (63) und Thomas Guggeis (29), die für ihn zuletzt in die Neuproduktion von Wagners „Ring des Nibelungen“ an der Staatsoper eingesprungen sind, waren einmal seine Assistenten.

Das Weltbild Barenboims ist eigentlich ziemlich einfach. Menschen, die miteinander musizieren, hören einander zu, lernen voneinander und schließen Freundschaften. Und vor allem bekriegen sie sich nicht. Die Welt braucht also mehr Musik. Das ist Barenboims Weltsicht, die in das 1999 gebildete West-Eastern Divan Orchestra (Wedo) und in die 2015 gegründete Barenboim-Said Akademie eingeflossen ist. Musikstudenten aus dem Nahen Osten werden hier in Berlin ausgebildet.

Seinen älteren Sohn Michael Barenboim (37), der auch als Konzertmeister des Wedo fungiert, hat der Gründer in die Leitung der Akademie einbezogen. Herzstück der Akademie ist der Pierre-Boulez-Saal, den Architekt Frank Gehry in einer einmaligen ovalen Form kreierte. Es ist ein Ort des Miteinanders. In seiner Akademie hat Barenboim vor zwei Wochen bereits wieder Klavier-Unterricht erteilt. Man kann nur wünschen, dass die Genesung des Jubilars voran geht und er bald zum großen Publikum zurückkehrt.