Berliner Ensemble

„Jeder Regisseur sollte ein feministischer Regisseur sein“

| Lesedauer: 9 Minuten
Ulrike Borowczyk
Die Nachwuchsregisseurinnen Uršulė Barto und Fritzi Wartenberg (v.l.).

Die Nachwuchsregisseurinnen Uršulė Barto und Fritzi Wartenberg (v.l.).

Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services

Uršulė Barto und Fritzi Wartenberg sprechen über ihr Engagement im Nachwuchsprogramm des Berliner Ensembles.

Das Theater ist bekanntlich immer nah dran am Puls der Zeit. Während die Gesellschaft noch darum ringt, Frauen einen angemessenen Platz in einer von Männern dominierten Welt zu geben, schafft das Berliner Ensemble Tatsachen. Mit Uršulė Barto und Fritzi Wartenberg wurden zwei Regisseurinnen aus 120 Bewerbern für das Nachwuchsförderprogramm Worx ausgewählt. Das Haus bietet ihnen ein Jahr lang eine Festanstellung mit je zwei Produktionen mit Ensemblemitgliedern im Werkraum. Beide inszenieren feministische Stücke mit Humor und setzen sich dabei mit traditionellen Strukturen, weiblicher Identität und der sich verändernden Gesellschaft auseinander.

Frau Wartenberg, Sie haben für Ihre erste Premiere am 19. November Ella Hicksons „The Writer“ ausgesucht. Warum?

Fritzi Wartenberg: Mich interessiert das Spannungsfeld zwischen Form und Inhalt. Das ist die große Frage von „The Writer“. Es geht um eine Autorin, die sich loseisen will von patriarchalischen und kapitalistischen Strukturen im Theater. Es geht darum, ob man unter diesen Umständen Kunst machen kann, die sich frei und nach Fortschritt anfühlt. Die Autorin bricht die Frage inhaltlich immer weiter auf. Doch je radikaler der Text, desto mehr regt sich der Regisseur auf, weil er sich fragt, wie man damit Karten verkaufen soll. Ein großartiger Stoff für Worx.

Frau Barto, Ende September hat Ihre Inszenierung von Magda Romanskas „Opheliamaschine“ Premiere gefeiert. Warum haben Sie dieses Stück ausgewählt?

Uršulė Barto: Ich hatte verschiedene Ideen für meine erste Produktion am Berliner Ensemble. Dann begann der Krieg in der Ukraine nach einer langen Zeit des Friedens in Europa. Die ersten beiden Monate waren hart für mich. Daher wollte ich ein Stück, das genau das reflektiert. Das den Krieg auf die Bühne bringt. Und die Gedanken dazu. „Opheliamaschine“ ist zuerst ein Stück über den Krieg, dann über eine Frau. Der Krieg zeigt mir, wie fragil Feminismus ist. Wenn ein Mann wie Putin einen Krieg anzetteln will, fliegt der Feminismus aus dem Fenster. Männer gehen zu den Waffen, die Frauen kümmern sich um die Soldaten. Der ganze Fortschritt, den wir gemacht haben, ist dahin. Wir fangen danach wieder bei null an. Dort, wo unsere Mütter begonnen haben.

Was bedeutet es für Sie, im Rahmen von Worx am Berliner Ensemble zu arbeiten?

Fritzi Wartenberg: Erstmals inszenieren hier genauso viele Frauen wie Männer. Es fühlt sich extrem nach Rückenwind an, die Chance zu bekommen, an einem so großen Haus in geschütztem Rahmen experimentieren zu dürfen. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal von Worx.

Uršulė Barto: Zuallererst ist es die Chance, mit Top-Schauspielern und -Schauspielerinnen sowie einem hochtalentierten Team arbeiten zu können. Und zwar nicht ergebnisorientiert, sondern konzentriert auf den Probenprozess. Nach der Premiere meiner ersten Inszenierung „Opheliamaschine“ ist bei mir die Aufregung verflogen und mir wurde erstmals wirklich bewusst: Du arbeitest jetzt am Berliner Ensemble. Jetzt frage ich mich noch stärker, was ich aus den Möglichkeiten machen kann, die sich mir hier bieten.

Fritzi Wartenberg: Es ist etwas Besonderes, dass am Ende kein perfektes Produkt stehen muss, im Wissen, dass man Karten verkaufen muss. Das ist auch gar nicht möglich für Berufseinsteiger und Berufseinsteigerinnen, die ihre Arbeitsprozesse noch ausforschen.

Sie sind für Worx nach Berlin gezogen. Wie gefällt Ihnen die Stadt und ist Ihnen das Unmögliche gelungen, eine Wohnung zu finden?

Uršulė Barto: Puh. Das war ein halbjähriger Prozess. Ich habe letztlich etwas über eine Bühnen- und Künstlerseite bei Facebook gefunden für Leute, die nur wenige Monate arbeiten. Aber natürlich ist für mich die Veränderung spürbar. Ich komme aus Vilnius, einer sehr kleinen Stadt. Berlin ist viel intensiver und das Tempo höher. Davon habe ich erst einmal kaum etwas mitbekommen. Als ich an der Inszenierung gearbeitet habe, ging es nur vom Theater nach Hause und umgekehrt. Jetzt habe ich Zeit, ins Theater zu gehen, mir Kunst anzuschauen und die Stadt zu entdecken. Google Maps ist gerade mein bester Freund.

Fritzi Wartenberg: In Berlin fühlt man sich zuerst wie ein winziger Fisch unter Zigtausenden. Das spiegelt sich auf jeden Fall in der Wohnungssuche. Aber dann hatten wir die Möglichkeit, hier am Haus mit Leuten zu arbeiten, und konnten relativ schnell unseren Anker werfen. Das hat mir auch bei der Wohnungssuche geholfen. Das ging über die Theater-Connection.

Wo sind Sie beide gelandet?

Uršulė Barto: In Neukölln. Nur neun Minuten Fußweg voneinander entfernt. Aus meiner Perspektive ein raues Stück Berlin, das noch nicht gentrifiziert ist. Eine authentische, echte Erfahrung.

Fritzi Wartenberg: Ich habe vorher in Prenzlauer Berg gewohnt. Es war wunderschön. Aber ich bin hier nicht auf der Suche nach Stille. Ich freue mich, hier viele verschiedene Menschen und Gesichter zu sehen. Es ist für uns wichtig, etwas über die Stadt zu lernen. Das passiert nun mal nicht, wenn man allein im Park spazieren geht. Wir bekommen jetzt einen Puls für die Stadt.

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie Regisseurinnen geworden sind?

Uršulė Barto: Ich habe das Privileg, in der litauischen Hauptstadt geboren zu sein, wo ich lang von Kultur umgeben war. Meine Familie ist sehr kulturinteressiert. Ich bin von klein auf in die Oper, ins Theater und in Museen gegangen. Das hatte einen großen Einfluss auf mich. Es gab aber nie einen Moment der Offenbarung, in dem ich erkannt habe, ich will Regisseurin werden. Ich wollte ursprünglich Schauspielerin werden. Dann war ich in der Schule in einem Schauspielclub. Zwölf Jahre lang. Wir hatten wirklich gute Lehrer. Letztlich habe ich mich entschieden, Regisseurin zu werden.

Fritzi Wartenberg: Ich war auf einem musischen Gymnasium. Da war es naheliegend, hinterher auf die Schauspielschule zu gehen, beziehungsweise Regie am Max Reinhardt Seminar zu studieren. In meinen Teenagerjahren dachte ich auch, dass ich Schauspielerin werden möchte. Regisseurinnen waren in meinem Umfeld selten präsent. Diese Option gab es für mich einfach nicht. Am Theater arbeiten hieß, auf der Bühne stehen. Erst als ich einen stärkeren Einblick bekam und entdeckt habe, was ich als Regisseurin machen kann und wie viel kreative Freiheit der Beruf bedeutet, ist bei mir der Groschen gefallen.

Vom Theater ist bekannt, dass es männlich dominiert ist. Wie gehen Sie damit um?

Uršulė Barto: Das ist natürlich ein sehr problematisches Thema. Es muss ein Diskurs darüber geführt werden, wie wir Theater präsentieren, wie und welche Menschen wir auf der Bühne zeigen. Wie etwas wahrgenommen wird, liegt in der Hand des Regisseurs. Ich bin mir sehr klar im Klaren darüber, dass ich in einem männlich dominiert Bereich arbeite. Aber es macht mir Spaß. Ich habe mein Geschlecht internalisiert. Es fühlt sich für mich natürlich an, weil ich damit groß geworden bin. Es ist ein Prozess, diese Sichtweisen wieder zu verlernen. Ich versuche, dagegen zu kämpfen, in dem ich Identität dekonstruiere. Nicht auf zerstörerische Weise. Sondern Schritt für Schritt. Es ist ein Prozess, internalisierte Sichtweisen wieder zu verlernen.

Fritzi Wartenberg: Dadurch, dass wir Regie machen, sind wir in der Lage, uns in vielerlei Hinsicht nicht abhängig machen zu müssen. Zum Beispiel von den Regiesetzungen eines Mannes. Schauspielerinnen sind da ja oft in einem Abhängigkeitsverhältnis. Wir haben aber die Chance, das Arbeitsklima maßgeblich mitzubestimmen. Und können uns zum Beispiel entscheiden, ob wir in unserer Probenarbeit einen autoritären Zugang oder flache Hierarchien wählen. Wir beide sehen eine große Stärke in Letzterem. Nicht nur was die Arbeitsmoral anbelangt, sondern weil ein aufgeschlossenes Arbeitsklima künstlerisches Potenzial birgt.

Was ist für Sie feministisches Theater?

Fritzi Wartenberg: Es ist für mich eine Methode, ein Arbeitsprozess. Eine Beschäftigung, eine Auseinandersetzung und Reibung, aus der hoffentlich neue Sichtweisen entstehen können.

Uršulė Barto: Feministisches Theater ist eine respektvolle Art, Theater zu machen. Feminismus an sich hat für mich mit Respekt zu tun. Egal, ob im Probenraum, in der Art, wie wir etwas zeigen und in der Art, wie wir leben. Meiner Meinung nach sollte jeder Regisseur ein feministischer Regisseur sein.