Zitadelle Spandau

„In meiner Musik geht es immer um Schönheit“

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Volker Blech
Barocksängerin Simone Kermes tritt in der Zitadelle Spandau auf.

Barocksängerin Simone Kermes tritt in der Zitadelle Spandau auf.

Foto: Dirk Bleicker

Zitadelle Spandau: Mit Barocksängerin Simone Kermes gibt es erstmals ein klassisches Konzert zum Ende des Citadel Music Festivals.

Weil sie eine ungewöhnliche Sopranistin ist, musste sich Simone Kermes bereits einige Etiketten gefallen lassen. Den einen gilt sie als „Crazy Queen of Baroque“, andere sahen in ihr „die Nina Hagen der Klassik“. Eines war die vielseitige und etwas extravagante Sängerin jedenfalls nie: berechenbar. „Die Veranstalter wollen in der Zitadelle Spandau etwas Neues probieren“, erzählt sie mit Blick auf das Konzert beim Citadel Music Festival am Sonnabend.

„Eigentlich ist es ein Rockfestival, bisher gab es noch kein Klassikkonzert“, sagt die Sängerin. „Aber jetzt ist der Flughafen Tegel geschlossen und die Atmosphäre etwas ruhiger geworden. Mein Konzert ist zugleich das Abschlusskonzert des Festivals.“ Erfahrungsgemäß geht es bei ihren Konzerten nie ruhig zu. Und die Künstlerin trägt stets ihr Herz auf der Zunge. Kammermusik bezeichnete sie beiläufig mal als Gruppensex.

Die aus Leipzig stammende Soprandiva hatte ihr Berufsleben sehr praktisch begonnen. Ihr Dasein als Facharbeiterin für Schreibtechnik machte sie nicht glücklich, sie studierte Gesang. Im Berliner Westend nahm sie Privatunterricht beim großen Dietrich Fischer-Dieskau. Das zahlte sich aus. 1993 gewann Simone Kermes den 1. Preis beim Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Wettbewerb Berlin, 1996 folgte ein 3. Preis beim Leipziger Bach-Wettbewerb.

Die Sängerin bringt Barockmusik und Popmusik zusammen

Die temperamentvolle Sächsin strebte auf die Opern- und Konzertbühnen der Welt. Ihr Rollenrepertoire umfasste neben den Titelpartien in „Alcina“, „Lucia di Lammermoor“ und „Orpheus und Eurydike“ auch die Konstanze in Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ oder die Gilda in Verdis „Rigoletto“. Später begann sie, eine CD nach der anderen zu veröffentlichen.

„Im Booklet meiner letzten CD ,Inferno E Paradiso’ stand eigentlich alles, was kurz darauf in der Pandemie passierte“, sagt Simone Kermes. „In diesem Programm über die sieben Tugenden und die sieben Todsünden habe ich die Popmusik in die Barockmusik gebracht. Neben Barockwerken von Caldara, Albinoni oder Vivaldi erklingen Songs von Led Zeppelin und Sting. Auch Lady Gagas ,Poker Face’ klingt jetzt wie eine Barockarie. Das passt wunderbar in die Zitadelle.“

Die Kermes ist eine zupackende Sängerin. Vor sechs Jahren hat sie ihr Ensemble Amici Veneziani gegründet. „Bei dem Konzert werde ich zu den alten Instrumenten auch elektronische wie E-Gitarre, Synthesizer sowie Percussion hinzunehmen. Ich nenne es Ba-Rock. Auch Udo Jürgens’ ,Aber bitte mit Sahne’ gibt es in einer Barockversion.“ Insgesamt werden jetzt zwölf Leute auf der Freilichtbühne spielen.

In der Pandemie ist die Künstlerin von Berlin aufs Land gezogen

Im Gespräch schneidet Simone Kermes diesmal überraschend auch ernste Themen an. „Wir leben in einer neuen Zeit, die Welt vor Corona wird es nicht mehr geben. Die dazu gehörigen Klänge möchte ich auf die Bühne bringen. Die Musik kann Gefühle transportieren.“ Eigentlich wussten wir alle schon vor Corona, fügt sie hinzu, dass vieles so nicht weitergehen könne: „Wir haben im Überfluss gelebt und nicht nur unsere Energiereserven vergeudet. Es kann auch nicht nur um Macht und Geld und Berühmtheit gehen. Es ist an der Zeit, dass die Menschen aufwachen und sich wieder auf die wirklichen Werte des Lebens besinnen. Ich möchte gerne Inspirationen geben.“

Drei Jahre lang hatte sie einmal ein festes Engagement an der Oper in Koblenz. Aber als Solistin wollte sie ungebunden sein. Irgendwann zog sie als Freischaffende nach Berlin. Dann kam die Pandemie. „Ich kenne die Schattenseiten des Geschäfts. Ich bin inzwischen von Berlin aufs Land gezogen, habe einen Hund und kaufe direkt beim Bauern ein“, sagt sie. „Ich weiß nicht, ob ich sagen kann, dass ich zurück zu den Wurzeln gekehrt bin. Aber es fühlt sich so an.“ Sie lebt wieder in Sachsen, zwischen Görlitz und Bautzen. Für alle Freischaffenden, fügt sie hinzu, sei die Pandemie eine harte und ungerechte Zeit gewesen.

Und auch jetzt würde keiner nach den Freischaffenden fragen. „Inzwischen sind die Preise fürs Reisen und die Hotels derart explodiert, dass kaum noch Projekte möglich sind. Oder nur mit hohem Risiko“, sagt Simone Kermes: „Ich halte es für eine kulturlose Zeit.“

Ein Barockfestival auf Schloss Königshain ist in Planung

Dabei hat sie selbst bereits das nächste größere Projekt im Blick. „Ich möchte im nächsten Jahr ein Barockfestival auf Schloss Königshain veranstalten. Dort im Garten möchte ich open-air-mäßig etwas machen, was an frühere Barockzeiten anknüpft. Es sollen internationale Künstler kommen. Ich werde auch Meisterkurse geben und träume von einer Akademie für junge Leute.“

Das Publikum habe sich seit Corona schon verändert, sagt sie, die Empathie und die Energien seien nicht mehr wie früher. Irgendwie scheint es sie zu verwundern. „Es ist doch so: Wenn man gute Musik hört, dann bricht etwas in einem auf. Musik lässt niemanden kalt.“

Künstler seien keine Politiker, sagt die Barocksängerin, und das müsse man auch streng trennen. „Auf der anderen Seite haben wir mit unserer Musik auch eine Message zu geben. Viele Menschen fühlen sich einsam oder allein gelassen, aber wir können in Konzerten eine Gemeinschaft herstellen. Wir alle müssen Schönes erleben, damit es uns gut geht. In meiner Musik geht es um Freiheit, die Liebe und immer um Schönheit.“

Freilichtbühne an der Zitadelle Spandau, Am Juliusturm 62. Am 3. September um 20 Uhr