Interview

„Joe Cocker hat mir die Augen geöffnet“

| Lesedauer: 9 Minuten
Ulrike Borowczyk
Der 57-jährige Pianist Joja Wendt kommt im September für ein Konzert nach Berlin.

Der 57-jährige Pianist Joja Wendt kommt im September für ein Konzert nach Berlin.

Foto: Christian Barz

Pianist Joja Wendt über seine aktuelle Tour „Stars on 88“, sein Klavier im VW-Bulli und die Frage, wie der Rocksänger ihm zur Karriere verhalf

Mit seinem atemberaubenden Klavierspiel hat Joja Wendt die ganze Welt erobert. Deutschlands erfolgreichster Pianist ist ein Wanderer zwischen den musikalischen Genres. Ein Allrounder, der so ziemlich alles kann. Jazz, Klassik, Pop. Jetzt ist der 57-Jährige wieder auf Tournee. Live in Berlin zu erleben am 25. September. Dabei erwartet die Zuschauer nicht nur sein virtuoses Spiel, sondern auch ein wilder Ritt durch die Rock- und Popgeschichte.

Herr Wendt, Ihr aktuelle Tour und das gleichnamige Album heißen „Stars on 88“. Was steckt dahinter?

Joja Wendt: Der Fundus, aus dem ich als Pianist mein Leben lang geschöpft habe, waren Jazz und Klassik. Meine Kinder haben mich aber oft gefragt, ob ich nicht auch mal irgendetwas spielen kann, das gerade im Radio läuft. Da ich allein am Klavier unterwegs bin, das übrigens 88 Tasten hat, habe ich mir überlegt, was für pfiffige Arrangements möglich sind bei aktuellen Songs und Titeln aus meiner Jugend. Das sich erstaunlich gut umsetzen ließ und viel Spaß gemacht hat. Am wichtigsten ist aber, dass die Leute es gut finden, weil sie die Stücke wiedererkennen.

Neben Songs wie Ed Sheerans „Shape Of You“ covern Sie unter anderem „Thunderstruck“ von AC/DC. Hat das schon mal jemand vor Ihnen auf dem Klavier versucht?

Nicht, dass ich wüsste. Das Klavier ist ja wie ein großes Orchester mit Melodien, Harmonien und Rhythmus. Die Leute rechnen nicht damit, dass ein Instrument die Energie hat, die Mutter aller Hardrock-Bands rüberzubringen. In „Thunderstruck“ ist so viel AC/DC drin, wie in dem Stück drinsteckt.

Haben AC/DC die Version schon gehört?

Ich glaube nicht. Aber ich habe schon mit Angus Young, dem Bandleader, gejammt. Deswegen wusste ich auch, dass die Version auf dem Klavier funktioniert. Weil AC/DC genau die richtige Band dafür sind. Einfach authentisch.

Sie haben auch schon mit den Legenden Chuck Berry und Joe Cocker zusammen auf der Bühne gestanden. Letzterer hat Sie obendrein zufällig entdeckt. Was ist da passiert?

Als ich noch zur Schule ging, sind die Stars immer in Hamburg abgestiegen. Weil dort seinerzeit die Presse saß. Der Spiegel, der Stern, die Bild-Zeitung. Von Hamburg aus ging es dann auf Deutschland-Tour. Das Schöne war, dass direkt neben dem Hotel, in dem eine Etage für die ganz Großen reserviert war, unsere Stammkneipe lag. Die Hamburger Szene ging da ein und aus. Otto Waalkes, Udo Lindenberg und viele andere. Auch die Pianisten-Szene. Wenn jemand wie Joe Cocker, der Live-Musik liebte, sich beim Concierge erkundigt hat, wo man hingehen kann, wurde er dorthin geschickt. Der Zufall wollte es, dass ich in dem Moment Klavier gespielt habe, in dem Joe Cocker hereinkam. Sein Vorprogramm war ausgefallen. Daher hat er mich gefragt, ob ich den Support machen wollte. Na klar wollte ich.

Sie waren damals gerade mal 20 Jahre alt. Wie war es für Sie, auf einen erfahrenen Superstar wie Joe Cocker zu treffen?

Ehrlich gesagt, war das der Moment, der mein Leben verändert hat. Joe Cocker hat mir die Augen geöffnet, als er zu mir gesagt hat: „Pass auf, wenn du das, was du gerade gespielt hast, bei mir auf der Bühne machst, werden die Leute so was von abgehen.“ Da habe ich erkannt, dass man auch als Pianist alleine vor tausenden von Leuten bestehen und sie unterhalten kann. Bis dahin hatte ich immer geglaubt, das Maximum für mich wäre, Udo Lindenberg zu begleiten. Dann, dachte ich, hätte ich es geschafft. Ich wusste nicht, dass ich allein mit meinem Namen so viel Publikum ziehen kann. Doch am Anfang einer Karriere steht eine Vision. Die hat mir Joe Cocker gegeben. Auf einmal wusste ich, wo die Reise hingeht, und habe darauf hingearbeitet.

Von Beginn an haben Sie auf Genre-Grenzen gepfiffen. Sie verorten sich am ehesten im Jazz. Wie kam es dazu?

Ich komme aus einem klassischen Haushalt. Meine Mutter ist Sängerin und war Professorin am Konservatorium in München. Deswegen lief viel Klassik bei uns zu Hause. Als junger, heranwachsender Mann wollte ich mich irgendwann abgrenzen. Deshalb habe ich als Teenager den Jazz für mich entdeckt. Nach dem Motto: Das ist die Musik, die ich toll finde und die keiner kennt. Das war ja völlig gegen den Mainstream, was mir gefallen hat. Da steckte eine Menge drin an Harmonie, Improvisation, an großartigen musikalischen Momenten. Daher habe ich mir gesagt, das ist es. Speziell der alte Jazz mit Musikern wie Fats Waller, Art Tatum, James P. Johnson und Oscar Peterson. Das waren meine Helden. Ihnen habe ich nachgeeifert. Das war meine Insel und mein Rebellentum gegen die klassische Musik.

Jazz war damals längst nicht so populär in Deutschland wie heute. Wie ist es angekommen, als Sie gesagt haben, ich will Jazzmusiker werden?

Ich habe überhaupt nicht darüber nachgedacht. Mit 16, 17 ist einem das egal. Man ist geflasht von etwas und macht es. Ich habe in Jazzclubs und Bars gespielt. Aber auch zu Hochzeiten und Geburtstagen. Da waren dann Rock’n’Roll und Boogie-Woogie angesagt. Hauptsache, es ging ab. Damit habe ich mein erstes Geld verdient. Das war ein schöner Moment für mich. Ich bin eins von neun Kindern und war der Einzige, der seinen Eltern nicht auf der Tasche lag. Ich konnte mein Studium und meinen ganzen Lebensunterhalt immer durch Mucken verdienen. Dadurch war ich unabhängig. Mir hat keiner reingeredet und ich durfte selbst entscheiden. So konnte ich meine eigene Identität entwickeln. Authentizität, die Wiedererkennbarkeit, ist ja ganz wichtig im Jazz.

In Ihren Konzerten verbinden Sie Musik und Entertainment. Wo haben Sie das gelernt?

Wie schon gesagt, habe ich acht Geschwister. Bei uns zu Hause gab es unfassbar viel Entertainment. Bei uns wurde wahnsinnig viel gelacht. Wir haben uns Geschichten erzählt. Es wurde kommuniziert. Das ist eine ganz große Komponente in meinem Leben, die auch auf der Bühne eine Rolle spielt. Heutzutage ist es wichtig, dass man nicht nur ein fantastischer Musiker ist, sondern man auch noch etwas mitbringt, das einen von den anderen Musikern unterscheidet. Eine Sängerin muss etwa auch tanzen können und einen gewissen Style haben. Wie Lady Gaga. Sonst schafft man es nicht an die Spitze.

Jetzt fügen Sie Ihrer Karriere mit „Jojas Bullitalk“ auf RTL+ noch ein musikalisches TV-Format hinzu. Woher kommt der Einfall, einen VW-Bulli mit einem Klavier aufzurüsten?

Die Idee wurde geboren, als ein Freund meiner Mutter einen VW-Bus geschenkt hat. Hinter die Vordersitze passte exakt noch ein Klavier rein. Damit bin ich überall rumgefahren, konnte üben und vor der Einkaufspassage für die Passanten spielen, womit ich mir mein erstes Geld verdient habe. Ich bin damit auch nach Südfrankreich gefahren und habe da auf der Straße gespielt. Das war damals die große Freiheit. Dabei habe ich Erfahrungen gesammelt. Etwa, wie erreicht man ein Publikum, das nicht für einen gezahlt hat. Wie bekommt man Leute, die einfach nur vorbeigehen, damit sie zuhören. Im Lockdown habe ich mich daran erinnert und mir noch mal einen VW-Bulli angeschafft. In den hat mir Steinway ein Klavier reingebaut.

Sie sind offizieller Steinway-Botschafter. Was hat es damit auf sich?

Das ist eine Society von Künstlern, die auf diesem Instrument spielen. Da ist man in einem illustren Kreis mit Billy Joel und Lang Lang. Wir bekommen kein Geld dafür. Aber es ist hilfreich, wenn man etwa in Seoul, Südkorea, ist und üben will. Dann sagt man: Ich bin Steinway-Artist und bekommt selbst dann einen Steinway, wenn keiner dort steht, wo man auftritt. Steinway-Artist ist auch ein Qualitätsmerkmal für Leute, die einen noch nicht kennen.

Noch mal zurück zum „Jojas Bullitalk“. Woher stammt das Konzept der Sendung?

Ein Baustein war James Corden „Carpool Karaoke“. Da fahren Prominente mit ihm herum und singen zum Playback. Ich habe mir gedacht, das muss doch auch live möglich sein. Also habe ich überall Kameras installiert und meinen Freund Bastian Pastewka angerufen. Wir haben dann die erste Folge gedreht, die gerade ausgestrahlt wurde, und was sehr lustig war. Palina Rojinski kommt im September. Im Gespräch sind aktuell noch David Hasselhoff und Helene Fischer. Das wäre natürlich eine sehr schöne erste Staffel.