Kostbarkeiten werden zur Eröffnung des neuen „Stabi Kulturwerks“ Unter den Linden gezeigt.

Wer die bibliophilen Kostbarkeiten sehen möchte, der geht einfach in die Staatsbibliothek Unter den Linden hinein und immer geradeaus. Man überquert den Brunnenhof, schlendert im Erdgeschoss an der Cafeteria vorbei und landet irgendwann in einem seltsam dunklen Raum. Das ist das neu eröffnete „Stabi Kulturwerk“. Das schummrige Licht ist schnell erklärt, denn einige der seltenen Ausstellungsstücke aus dem Bestand dürfen nur 50 Lux Helligkeit ausgesetzt werden. Zum Schutz der Originale ist es nicht nur dunkler, sondern auch kühler in dem langgestreckten Raum mit rund 1000 Quadratmetern, in dem die Vitrinenlandschaft angeordnet ist.

Das Ganze hat dennoch eine einladende Atmosphäre. An einer Seite sind die stimmungsvollen Lichtsilhouetten von historisch wichtigen Figuren, Geistesgrößen oder Sammlern angebracht. Es handelt sich um Bibliotheksgründer Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg oder den Begründer der deutschen Philologie und Altertumswissenschaft Jacob Grimm, den wir gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm Grimm als die Märchensammler kennen. Geschwister sind auch der Berliner Naturforscher und Entdecker Alexander von Humboldt und der Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt. Aber auch Rosa Luxemburg, die 1919 in Berlin von Freikorps-Truppen ermordete Vordenkerin der europäischen Arbeiterbewegung, hat ihre eigene Projektion auf der photochromatischen Wand, ebenso der Philharmonie-Architekt Hans Scharoun.

Die Wand der prominenten Silhouetten umreißt auch die kulturelle, baugeschichtliche und auch stadtpolitische Vielfalt der Eröffnungsausstellung, in der es Autographen, Nachlassdokumente, Flugblätter, Globen, Ostasiatica und Orientalia zu sehen gibt. Dargestellt wird die Entwicklung der Bibliothek und ihrer Sammlungen, wobei das eine vorrangig links und das andere rechts des zentralen Ganges angeordnet ist. Die Ausstellungsmacher, wozu die 15 Kuratoren um Projektleiterin Carola Pohlmann gehören, haben sich einiges einfallen lassen. Beispielsweise gibt es in den Vitrinen raffiniert eingesetzte Buchwiegen, die einen schwebenden Eindruck der Exponate erzeugen.

Über eine Rundtreppe gelangt der Besucher hinab in die „Schatzkammer“

Mittels QR-Codes kann man schnell in
die digitalen Sammlungen der Staatsbibliothek wechseln. Achim Bonte, Generaldirektor der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz, verweist auf die besondere Verbindung, denn hier trifft „die Aura des Originals“ auf den digitalen Bildungsmehrwert. Etwa, wenn man ein Kunstwerk heranzoomen kann. Die digitalen Welten spielen bei den Touchscreens und auf besondere Weise beim „Lebenden Buch“ eine Rolle. In dieser digital-erklärenden Aufbereitung befindet sich die berühmte Gutenberg-Bibel, das erste mit beweglichen Lettern gedruckte Buch.

Aber diese Spielerei ist wohl eher für ­erlebnisorientierte Besucher gedacht. Schwerer wiegt nach wie vor die Aura des Originals. Deshalb sollte der Besucher zunächst einmal alles links und rechts liegen lassen und bis zum Ende der Ausstellung gehen. Dort führt eine Rundtreppe hinab in die „Schatzkammer“, wo jeweils nur für wenige Wochen berühmte Highlights aus den Beständen der Staatsbibliothek gezeigt werden. In dem kleinen Raum wird derzeit einer der fünf weltweit erhaltenen Pergamentdrucke der Gutenberg-Bibel präsentiert. Der Betrachter bekommt vorgeführt, dass sich Johannes Gutenbergs Buch (Mainz, um 1454/55) noch in der Tradition der mittelalterlichen Handschriftenproduktion befindet. Drucktype, Layout und die Ausstattung mit gemalten Initialen und Ranken orientieren sich an zeitgenössischen Handschriften.

Gleich daneben findet sich eine Papierhandschrift aus Ostschwaben um 1440: das Nibelungenlied. Der Hundshagensche Codex, der nach dem Vorbesitzer Helfrich Bernhard Hundshagen benannt ist, ist die einzige erhaltene Handschrift, in der der Text mit einem umfangreichen Bildzyklus illustriert wird. In einer anderen Vitrine der „Schatzkammer“ befindet sich ein Autograph, der 2015 zum Unesco-Weltdokumentenerbe erklärt wurde: Johann Sebastian Bachs ­h-Moll-Messe. Ausgestellt ist die erste Seite des Kyrie.

Der Leipziger Thomaskantor hatte das Stimmmaterial der Messe an den Hof nach Dresden geschickt. Der Komponist hoffte, damit ein Hofprädikat zu erhalten, um seine Stellung in Leipzig zu stärken. In der Vitrine ist auch das Credo ausgestellt, dass etwa 15 Jahre später entstand. Auffallend ist die deutlich schlechtere Papier- und Tintenqualität späterer Teile. Die Restaurierung von wertvollen Bach-Autographen wegen „Tintenfraß“ ist eines der großen Projekte der Staatsbibliothek.

Die Gründungs-Urkunde der Bibliothek von 1659 wird nur kurz ausgestellt

Es gibt viel Schillerndes aus der Geschichte der Staatsbibliothek zu entdecken, aber auf das ziemlich unscheinbare Exponat Nr. 11 aus der Anfangszeit sei besonders hingewiesen. Die Handschrift vom 20. April 1659 ist das Reskript an den Geheimen Rat in Cölln an der Spree über die Berufung eines Bibliothekars. Die Übergabe der privaten Bibliothek von Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg an den Bibliothekar Johann Raue gilt als Gründungsurkunde der Bibliothek. Der Autograph gehört zum Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz und wird auch nur kurze Zeit zu sehen sein.

Neben den Ausstellungsräumen soll eine flexibel nutzbare Fläche tagesaktuell für wissenschaftliche und kulturelle Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Selbst auf Schulklassen ist man eingestellt. Und Wechselausstellungen sind geplant. Den Anfang macht ab 17. August die Ausstellung „Unheimlich fantastisch – E.T.A. Hoffmann 2022“.

Stabi Kulturwerk in der Staatsbibliothek Unter den Linden, Mitte. Geöffnet Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr. Freier Eintritt.