Erec Brehmer verlor seine Freundin Angi bei einem Autounfall. Er hat ihr einen Dokumentarfilm gewidmet: „Wer wir gewesen sein werden“
Es gibt Momente, die ein ganzes Leben zerreißen: in ein Davor und ein Danach. In den ersten Sekunden dieses Films ist die Kamera auf eine Landstraße gerichtet. Es ist noch nicht oder nicht mehr ganz hell, die Scheinwerferkegel der vorbeifahrenden Autos blenden das Auge, vor allem aber ist das Geräusch zu hören, das sie dabei produzieren: das Zischen schnell rollender Reifen auf dem Asphalt, die Motoren, der Luftwiderstand.
„Seit dem Unfall“, sagt Erec Brehmer aus dem Off, „war ich erst einmal wieder hier. Ich hab’ mich an die Straße gestellt und versucht zu verstehen, wie das alles passieren konnte. Fragmente sind geblieben. Bruchstücke von Erinnerungen. Wer wir waren, ist vorbei an diesem Tag. Doch manches ist noch offen.“
Im März 2019 war Brehmer selbst auf dieser Straße unterwegs, am Steuer saß seine langjährige Freundin Angelina Zeidler, genannt Angi. Warum sie auf die Gegenbahn fuhr und auch auf Brehmers wiederholte Ansprache nicht reagierte, konnte nie geklärt worden. Nach der Kollision mit dem anderen Fahrzeug starb sie im Krankenhaus, Brehmer wurde schwer verletzt und musste mehrfach operiert werden. Vor allem aber musste er lernen, was zum Schwierigsten im Leben überhaupt gehört: wie man mit dem Verlust eines geliebten Menschen umgeht.
Davon handelt dieser zutiefst bewegende und schöne Film, der nun im Kino startet. Als angehender Regisseur hat Brehmer sein Leben mit Angi immer wieder mit der Kamera dokumentiert. Zusammen mit Sprachnachrichten, Whatsapp-Chats, Tagebucheintragungen und gemeinsam gehörter Musik hat er daraus eine Montage erstellt, die zweierlei ist: Zum einen ein Liebesfilm mit einer philosophischen Dimension, der die Frage aufwirft, was vom Glück bleibt. Und zum anderen Zeugnis einer Trauerbewältigung.
Es begann im Dezember 2015, als Brehmer auf Tinder etwa 100 Frauenprofile likte, er war eben Single. Bei der ersten Begegnung mit Angi, sagt er, sei er nervös gewesen, „weil ich sie ganz süß fand“. Sie sei aber auch nervös gewesen, weil sie Filme liebte und noch nie einen Regisseur getroffen hatte: „Da hab ich mich als kleiner Filmstudent plötzlich ganz groß gefühlt.“
Angi studierte das, wie sie ihm schrieb, „was Männer glücklich macht: Bier“. Zwei Menschen auf dem Weg in ihren Beruf verlieben sich ineinander, ein Filmemacher und eine Bierbrauerin. Sie fahren gemeinsam in den Urlaub, liegen am Strand und auf Wiesen, albern herum. Sie muss sich erst daran gewöhnen, dass er sie dauernd filmt. Aber in der Art, wie Brehmer das tut, spürt man seine tiefe Zuneigung zu ihr – vermutlich ging es ihr genauso.
„Wer wir gewesen sein werden“ erspart dem Publikum nichts. Zu hören ist auch eine Sprachnachricht Brehmers an Angis Angehörige direkt nach dem Unfall, als er sich noch in der falschen Hoffnung wiegt, sie könnte überleben. Zu sehen sind Bilder der demolierten Fahrzeuge. Das ist schmerzhaft, nachdem man Angi als einen so liebenswürdigen Menschen kennengelernt hat. Und es hätte auch leicht ins Kitschige oder Exhibitionistische driften können. Weil Brehmer aber immer wieder das Schöne akzentuiert, weil er im schmerzhaften Prozess der Aufarbeitung Menschen begegnet, die Ähnliches erfahren haben, weil das Glück ja nicht weg ist, sondern nur vergangen: Deshalb ist ihm ein wunderbarer Film gelungen.