Die szenische Installation „Berlau :: Königreich der Geister“, erarbeitet vom deutsch-schweizerischen Kollektiv Raum+Zeit unter der Regie von Bernhard Mikeska, widmet sich der Künstlerin Ruth Berlau (1906–1974), die seit Bertolt Brechts Exil in Dänemark in den 1930er-Jahren eine enge Arbeitskollegin und seine Geliebte war. Berlau begegnet dem Publikum im Neuen Haus des Berliner Ensembles an drei Stationen ihres Lebens: 1933 in Dänemark, 1944 in den USA und 1954 in Ost-Berlin, wo sie 20 Jahre später in der Charité verstarb. Ein Gespräch mit den Schauspielerinnen Amelie Willberg, Susanne Wolff und Esther Hausmann.
Ruth Berlau war eine hochtalentierte Regisseurin, Fotografin, Schauspielerin und Schriftstellerin, sie liebte Bertolt Brecht und verzweifelte an ihm, sie war alkoholkrank und hatte psychische Probleme. Wie nähert man sich dieser Biografie?
Amelie Willberg Wir haben zunächst alle sehr viel gelesen. Der Dramaturg, Regisseur und Autor Hans Bunge hat Ruth Berlaus Erinnerungen 1959 in langen Gesprächen aufgezeichnet und sie 1985 in dem Buch „Brechts Lai-Tu“ veröffentlicht. Das war sehr aufschlussreich. Wir haben das Sommerhaus von Brecht in Buckow besichtigt. Und dann gibt es im Archiv der Akademie der Künste Aufnahmen ihrer Stimme.
Esther Hausmann Wir haben auch ihre Texte und Bücher gelesen, sie hat ja auch selbst viel geschrieben. Beim Hören der Bänder war ich überrascht, wie wenig man ihren Akzent wahrnimmt. Wenn sie aufgewühlt war oder Briefe aus der Psychiatrie schrieb, da galoppierten zum Teil kapitale Grammatikfehler durch ihre Texte. Im Vergleich dazu sprach sie sehr flüssig und souverän.
Was macht ihr Leben so eindrucksvoll?
Esther Hausmann Ruth Berlau traute sich mit Anfang 20, allein mit dem Fahrrad aus Dänemark nach Paris zu fahren, um eine Reportage darüber zu schreiben. Später fuhr sie mit dem Fahrrad sogar nach Russland. Das war extrem mutig und selbstbewusst. Sie hat zu einer Zeit, wo das nicht gesellschaftlich konform war und überhaupt nicht ihrem großbürgerlichen Hintergrund entsprach, ein eigenes Arbeitertheater gegründet. Sie hat eigene Stücke geschrieben und kannte Stücke von Brecht, bevor sie ihn überhaupt kennengelernt hat.
Susanne Wolff Ich erinnere mich an einen Satz in einer unserer Lektüren, dass sie lange Zeit noch, auch als sie Brecht bereits kannte, unglaublich schöpferisch war und ihre eigenen Projekte vorantrieb. Und dann sind die beiden diese Symbiose eingegangen, sowohl als Liebes- wie auch als Künstlerpaar. Das hat sich dann irgendwann dahin entwickelt, dass alles, was sie tat, ausschließlich mit Brecht zu tun hatte. Alles von ihr, was nicht den Weg zu Brecht fand, erschien ihr nichtig und gab ihr keine Energie. Sie war eigentlich ein ganz autarker, wissbegieriger, offener Mensch. Als sich das Verhältnis zu Brecht abkühlte, hatte das eine ganz starke Wirkung auf sie und ließ sie nicht mehr selbst schöpferisch tätig sein.
Kann man einen Zeitpunkt dafür bestimmen?
Esther Hausmann Sicher kann man das natürlich nicht sagen. Es hat vielleicht mit dem Verlust des Kindes zu tun. Im Mai 1944 teilte sie Brecht mit, dass sie von ihm schwanger sei. Michel kam zu früh zur Welt und überlebte nur wenige Tage. Das war das erste Mal, dass sie in die Psychiatrie kam und wirklich einen Zusammenbruch hatte. Sie war so robust wie ein Islandpony und gleichzeitig fragil. Wer sie wirklich war, daran arbeite ich mich immer noch ab.
Was machte Brecht wohl so anziehend für sie?
Amelie Willberg Darüber haben wir auch ein bisschen nachgedacht, warum ihm die Frauen so verfallen sind. Höchstens, wenn man sein Arbeiten ganz toll findet. Aber es muss ja auch persönlich funktioniert haben mit ihm.
Susanne Wolff Was eine große Rolle gespielt haben könnte, war, dass er sehr witzig und überraschend war. Das kommt in dem Lai-Tu-Buch gut heraus. Als sie ihr erstes Buch herausbrachten, kam Ruth Berlau auf die Idee, dass sie, wenn sie es signieren, dann mehr Geld dafür einnehmen können. Dann gab es einen großen Gönner, der sich trotzdem für die günstigere, unsignierte Variante entschied. Das erzählte Berlau Brecht und war erbost. Und er antwortete nur: Das hätte ich aber auch gemacht, was soll denn diese Unterschrift da drin? Er war in gewissen Dingen sehr pragmatisch und trocken, das könnte ihn anziehend gemacht haben.
Esther Hausmann Ruth Berlau hatte auch einen guten Humor und konnte sehr witzig sein. Und ich glaube, dass ihre Unberechenbarkeit ihn seinerseits anfangs auch sehr fasziniert hat. Auf den Tonbändern klingt ihre Stimme überraschend gut geerdet. Sie lacht unheimlich viel, sie hat auch große emotionale Brüche. Sie hat sich nie abgesichert, sie hat es immer gemacht, wie sie gemeint hat. Das ging dann manchmal auch schief.
Der Abend ist eine szenische Installation, die Zuschauerinnen und Zuschauer gehen einzeln mit VR-Brille hindurch. Was macht diese Form besonders?
Esther Hausmann Wir wollen nicht zu viel verraten, das würde die Erfahrung entwerten. Nur so viel: Wenn man die Brille aufhat, kann man das Gegenüber nicht sehen. Das heißt, es gibt VR-Räume, die sich abwechseln mit realen Begegnungen. Sie verbindet eine gewisse Traumhaftigkeit: Ruth träumt sich selbst eigentlich. Und das tut sie auf zwei Ebenen. Für mich ist diese VR-Ebene noch eine andere Realität, wie man in einen Traum taucht.
Sind es improvisierte Begegnungen mit den Zuschauerinnen und Zuschauern?
Susanne Wolff Nein. Es gibt Text, an den wir uns konsequent halten. Es gibt eine Form von szenischem Arrangement. Aber natürlich muss man die ganze Zeit auf die Zuschauerinnen und Zuschauer reagieren. Und da gibt es sehr unterschiedliche Reaktionen, und die muss man aufnehmen, weil es sonst nicht lebendig wird.