In der zweiten Etage des Gropius Baus fällt zuerst das riesige Wandbild ins Auge, das vom Grafikdesignstudio Eps51 und der Illustratorin Julia Kemperman gestaltet wurde. „Unsere Geschichte*“ steht in roten Versalien darüber, mit Sternchen, das auf eine kleiner gesetzte Fußnote hinweist: „Ohne Gewähr“.
Und je länger man sich mit dieser überwältigenden Zusammenschau von Bildern, Zeitpfeilen, Sparten, Performances, Institutionen, Festivals, Künstlerinnen und Künstler beschäftigt, desto klarer wird, dass man hier eigentlich die Mehrzahl gebrauchen, also von Geschichten sprechen müsste. Links oben stehen „Orchestermusik“ und „Bundeswettbewerbe“, links unten „Filmkunst“, weiter rechts oben „Langzeitformate“, es folgen sich verzweigende Chroniken zu Musik, Theater, Ausstellungen und allen anderen möglichen Formaten. Man kann viel Zeit verbringen mit diesem Bild in der Ausstellung „Everything Is Just For A While“, mit dem die Berliner Festspiele nicht nur einen Wesenszug performativer Künste anklingen lassen, sondern auch des eigenen Jubiläums gedenken.
Denn vor 70 Jahren, im Sommer 1951, fanden im Westteil Berlins zum ersten Mal die Berliner Festwochen und die Internationalen Filmfestspiele statt, konzipiert im Wettlauf der Systeme als eine Art „Schaufenster des Westens“, während fast zeitgleich auf der anderen Seite der Grenze die DDR zu den „Weltfestspielen der Jugend“ nach Ost-Berlin einlud. Entlang historischer Zäsuren der deutsch-deutschen Geschichte wäre diese Erzählung bündig organisierbar. Zu ihr zählt die nationalsozialistische Vorgeschichte des ersten Leiter der Berliner Festwochen, Gerhart von Westerman, über den die Kunsthistorikerin Angela Rosenberg jetzt in einem sehr lesenswerten Beitrag veröffentlicht hat. Zu ihr müsste neben dem Umbruch von 1968 auch die schnöde Abwicklung der Ost-Berliner Festtage 1990 nach der Wiedervereinigung zählen. Und mehr.
Alfred Hitchcock bestellt ein Bier
Aber die vom Intendanten der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, konzipierte Schau ermöglicht es auch, ganz andere Perspektiven einzunehmen – etwa auf die Transformation künstlerischer Paradigmen, auf Konjunkturen des Interesses an bestimmten Weltregionen und Formaten, auch auf die Geschichte von Einrichtungen wie dem Gropius Bau und dem Haus der Berliner Festspiele. Man kann, auch mit Hilfe der Videoinstallationen, die großen Namen Revue passieren lassen, die in Berlin Station machten – etwa wenn Hildegard Knef von dem Auseinanderklaffen von Nord und Süd erzählt oder Sir Alfred Hitchcock in sympathischem Deutsch den alten Witz über den Mitarbeiter eines Sägewerks, der mit zwei Fingern vier Bier bestellt. Man kann aber auch die weniger bekannten Namen entdecken, all die Schauspielerinnen und Schauspieler etwa, die im Rahmen des Theatertreffens auf ungewohnter Bühne auftraten. Es ist, wie es der Begleittext nennt, ein „Spiegelkabinett der Erinnerungen“, das assoziative Angebote macht und damit der Vielfalt der Festspiele gerecht wird.
Gropius Bau, Niederkirchnerstr. 7, Kreuzberg. 28.5.-17.10. Informationen unter berlinerfestspiele.de