Macho oder nicht? Dazu hat der Film „Helmut Newton - The Bad and the Beaufitul“ keine Meinung. Lieber lässt er Promintente sprechen.
Cosima Lutz
Natürlich konnte das Mädchen nichts dafür, als Helmut Newton im Stadtpark Schöneberg mit seinem Tretroller stürzte und sich das Handgelenk brach. Er hieß damals noch Helmut Neustädter und hatte der unbekannten Schönheit einfach zu lang hinterhergeschaut. Grinsend erzählt der weltberühmte Fotograf, der 1938 aus Nazideutschland floh, dem Dokumentarfilmer Gero von Boehm diese Anekdote aus der Kindheit. Ich war doof, sagt der Blick, aber ich konnte nicht anders.
Heute ist das Anstarren von Frauen so geächtet wie nie. Manchen geht das zu weit. Gero von Boehm etwa. Er war mit Newton befreundet und erhielt nun pünktlich zu dessen 100. Geburtstag „uneingeschränkten und exklusiven Zugang zum Archiv der Helmut-Newton-Stiftung“. Bei dem Film „Helmut Newton – The Bad and the Beautiful“ handelt es sich also um ein Denkmal. Und weil von Boehm eine heute überall um sich greifende „Prüderie“ und „political correctness“ wittert, sein 2004 gestorbener Freund aber auf so etwas pfiff und sich einen „professionellen Voyeur“ nannte, wirkt sein Filmporträt ein wenig wie eine Selbstvergewisserung: Darf man weibliche Schönheit denn gar nicht mehr feiern?
„Helmut Newton - The Bad and the Beautiful“: der Trailer zum Film

on Boehm entscheidet sich für ein kaum angreifbares Konzept: Sollen doch die beteiligten Frauen selbst reden. Außer dem schon zu Lebzeiten umstrittenen Newton, den der Regisseur bereits für einen früheren Film porträtierte, kommen ausschließlich Stars wie Grace Jones, Claudia Schiffer Charlotte Rampling und Ehefrau June zu Wort.
Nur Najda Auermann drückt ihr Befremden aus
Dieses Aufgebot an beeindruckenden Persönlichkeiten (den auch im Film zu oft bemühten Begriff der „starken Frau“ kann man indes bald nicht mehr hören) und die ikonischen, das „Vulgäre“ (Newton) feiernden Bilder machen den sonst konventionell sich an sprechenden Köpfen abarbeitenden Film dennoch sehens- und zuhörenswert.
Zimperlich war der Provokateur nicht, das zeigt eine Szene gleich anfangs, als Newton eine junge Nackte beim Shooting anraunzt, sie solle nicht so armselig dreinblicken. Ein ander Mal wünscht er einem männlichen Model eine Erektion, „dann bekommst du mehr Geld“. Kein Kommentar, Newton kommt als netter Schlingel stets gut weg.

Marianne Faithfull beschreibt, wie Newton sie „geöffnet“ und von ihrer Verklemmtheit erlöst habe; Isabella Rosselini spricht ihn von Machismo frei („Es ist komplizierter“), und Model Sylvia Gobbel schwärmt von der Arbeit auf „Augenhöhe“. Einzig Nadja Auermann drückt ihr Befremden darüber aus, dass er sauer war, als sie sich weigerte sich auszuziehen. Macho? Sie windet sich: Seine Fotos hielten einer sexistischen Gesellschaft eben den Spiegel vor.
So sieht Helmut Newton etwas alt aus
Newton sagt einmal, ihm werde vorgeworfen, er fotografiere nicht „die Seele“. Natürlich fotografiere er nur „einen Körper, ein Gesicht“, erklärt er. Das Wort Seele war ihm in der Fotografie genauso suspekt wie das Wort Kunst. Und trotzdem, gibt er zu, hoffe er, dass man mehr in seinen Arbeiten erkenne als nur „Beine und Busen“.
Das Unbehagen bleibt, dass der Film selbst keine Haltung zum Thema „Frau als Objekt“ finden mag. Dadurch aber bringt er das Werk Newtons in keinen Dialog mit der Gegenwart – und lässt es unabsichtlich doch ein wenig alt aussehen.
Dokumentarfilm Deutschland 2020, 93 min., von Gero von Boehm