Vor 75 Jahren starb Käthe Kollwitz. Das ihr gewidmete Berliner Museum bietet Einblicke in ihr Schaffen
Zuletzt lebte Käthe Kollwitz auf dem barocken Gutshof Rüdenhof mit Blick auf den Schlossteich und Schloss Moritzburg in der Nähe von Dresden. Rote Magnolien aus dem Schlosspark und Efeu vom Gutshof schmückten ihren Sarg. Sie starb vor 75 Jahren am 22. April 1945, wenige Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie starb allein, während ihre Enkelinnen Jutta und Jordis, die sie betreuten, im Wald herumirrten, um ein Versteck vor den anrückenden Russen zu suchen.
Käthe Kollwitz aber hatte sich nicht davor gefürchtet: Man sollte „einfach, wenn die Russen kämen, sie zu ihr führen, und ihr würde niemand etwas tun, denn sie sei in Russland sehr bekannt“, wird sie von ihrer Enkelin Jutta zitiert. Zu diesem Zeitpunkt war Käthe Kollwitz bereits so unbeweglich, dass sie den ersten Stock des Gutshofs nicht mehr verlassen konnte. Gehen, Sehen und Hören fielen ihr schwer. Ihr blieb nur der verschwommene Blick auf den Teich und die sich wandelnde Natur.
Ihr Wohnhaus in Berlin wurde zerstört
Über ihrem Bett hing ein Abguss von Goethes Totenmaske, die sie jeden Abend in die Hand nahm und abtastete, während ihr die Enkelinnen aus „Dichtung und Wahrheit“ vorlasen. An Ostern kam noch einmal ihr Sohn Hans aus Berlin zu Besuch. Ihr Wohnhaus am Wörtherplatz (heute Kollwitzplatz) stand dort nicht mehr. Im November 1943 war es einem Luftangriff zum Opfer gefallen. Sie selbst war nach Nordhausen geflüchtet. Als es dort nicht mehr sicher genug schien, folgte sie im Juli 1944 der Einladung von Prinz Ernst Heinrich von Sachsen, einem Sammler und Bewunderer ihrer Kunst, und zog nach Moritzburg. Der Rüdenhof, ihr Sterbehaus, konnte dank privater Gelder als Käthe-Kollwitz-Haus erhalten werden. Die DDR freilich hätte den adligen Mäzen lieber vergessen, er schien nicht zu einer Künstlerin zu passen, für die Not und Elend des Proletariats zentral waren.

Mit der Sonderausstellung „100 Jahre Groß-Berlin. Käthe Kollwitz und das Elend der Großstadt“ zeigt das Käthe-Kollwitz-Museum in der Fasanenstraße derzeit nur online diesen Aspekt ihrer Arbeit. 1912 schuf sie ein Plakat für den Zweckverband Groß-Berlin mit der ikonischen Darstellung der „Geschwister“: einem Mädchen, das ihren Bruder im Arm hält, im Hintergrund das Schild: „Spielen auf den Treppenfluren und den Höfen ist verboten“. Diese Federzeichnung wurde zum Signum für die Initiative, die damit auch auf die Wohnungsnot hinweisen wollte. Man erhoffte sich durch den Groß-Berliner Zusammenschluss einen Ausgleich zwischen den reichen Gemeinden wie Charlottenburg und den Proletariersiedlungen der Innenstadt. Käthe Kollwitz kannte die Lebensbedingungen der Arbeiter durch die Patienten in der Arztpraxis ihres Mannes. Zu viele Kinder, die sich selbst überlassen waren, enge Wohnungen, Trunkenheit, Gewalt – in einer Serie für die Zeitschrift „Simplicissimus“ hatte sie bereits 1909 auf die prekären Zustände in der Großstadt aufmerksam gemacht. 1922 schuf sie ein Plakat, das zur „Alkoholgegnerwoche“ einlud, ein Jahr später entwarf sie einen Aufruf für die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen.
Auf der Website des Museums kann die aktuelle Sonderschau virtuell besichtigt werden. Literatur: Yury und Sonya Winterberg: Kollwitz. Die Biografie. Bertelsmann, 432 S., 24,99 Euro.