Der Zauber beginnt im Orchestergraben. Donald Runnicles lässt das Orchester der Deutschen Oper mit den Streicherglissandi behutsam in die Feenwelt eintreten. Es ist unüberhörbar, dass der britische Generalmusikdirektor in den „Sommernachtstraum“ seines Landsmannes Benjamin Britten mit vertrauter Melancholie eintaucht. Auf der Bühne erscheint schnell der erste Star, der sich am Ende des dreistündigen Abends bejubelt sieht: der Kinderchor des Opernhauses. Die jungen Choristen und ihre vier Solisten sind von Christian Lindhorst musikalisch überzeugend einstudiert worden, in der Inszenierung tragen sie alle eine Art graue Schuluniform mit Fliege, sehen aus wie kleine Erwachsene, die irgendwo im sittenstrengen Großbritannien der 50er-Jahren steckengeblieben sind. Elfen sehen traditionell anders aus, jedenfalls auf der Bühne.
„A Midsummer Night’s Dream“ wurde 1960 beim Festival in Aldeburgh uraufgeführt. Die Komposition entstand unter Zeitdruck, weswegen Benjamin Britten und sein Lebensgefährte, der Sänger und Mit-Librettist Peter Pears, auf die Komödie von Shakespeare zurückgriffen. Reichlich Text musste gekürzt und die Handlung gestrafft werden. Beginnt das Theaterstück noch am Hof von Athen und führt zur Flucht in den angrenzenden Wald, eröffnet die Oper sofort im Elfenreich. Sind es bei Shakespeare reale Menschen, die ihre Liebeswirren in einer Geisterwelt durchstehen müssen, werden bei Britten in einer Traumwelt menschliche Probleme durchgespielt. Regisseur Ted Huffman deutet diese Probleme biografisch und bringt quasi das Paar Britten und Pears als das zerstrittene Königspaar Oberon und Tytania auf die Bühne. Tytania trägt wie Oberon Anzug und einen Bart. Damit hat sich das Psychologische in der Regie aber bereits erschöpft.
Es ist eine kühle Nachtwelt, die wie im Nichts schwebt
Ted Huffman, der in New York geboren wurde, in London lebt und jetzt in Berlin sein Debüt als Regisseur gibt, verzichtet fast gänzlich auf all das, was eine Feerie an sinnlichen Bühnenfantasien weckt. Es ist eine restriktiv kühle Welt, die wie im Nichts schwebt. Marsha Ginsberg hat dem Regisseur eine nach hinten angeschrägte Bühne gegönnt und im Hintergrund eine große Nebelwolke. Eine hohe Leiter, ein Sichelmond oder Handkoffer zählen zu den sparsam eingesetzten Dekorationen. Zu den Vorzügen von Huffmans Nachtstück gehört es, dass es auf die vom Orchester artifiziell ausgebreitete Klangatmosphäre und auf die Darstellungskraft ihrer Sänger vertraut. Der Zuschauer muss ihnen folgen und zuhören. Huffmans Personenregie ist voller Klarheit und hat einen eigenen Witz. Und wenn die Kinderelfen in Zeitlupe rückwärts die Bühne verlassen, ist man sofort daran erinnert, dass er auch durch die Schule des amerikanischen Theaterregisseurs Robert Wilson gegangen ist.
Die Produktion ist schon very british. Komponist Britten, Dirigent Runnicles, Regisseur Huffman und mehrere Darsteller stehen dafür ein. Es wird auf Englisch geatmet und gesungen, natürlich mit deutschen Übertiteln. Für die Sprechrolle wurde der schottische Schauspieler Jami Reid-Quarrell verpflichtet, der vielen in seiner Rolle als Bösewicht Colony Sarff in der BBC-Fernsehserie „Doctor Who“ vertraut sein dürfte. Er macht aus dem an Seilen schwebenden Puck eine ebenso athletische wie charismatische Figur. Er ist weniger ein Schalk, mehr ein Entertainer. Die Liste der Solisten im „Sommernachtstraum“ ist lang, und in der Deutschen Oper sind sie fast durchweg hörenswert. Der britische Countertenor James Hall gefällt in seiner Rolle als zweiflerisches Zwitterwesen, als das Oberon hier angelegt ist. Die australische Sopranistin Siobhan Stagg weiß sich als Dragqueen Tytania selbstbewusst und verführerisch durchzusetzen.
In der Premiere ist der Brite James Platt als Weber Bottom und verzauberter Esel der am meisten bejubelte Sänger. Er ist der Mannhafteste unter den sechs rüpelhaften Handwerkern, die zur finalen Hochzeitsfeier am Hofe das Schauspiel „Pyramus und Thisbe“ aufführen wollen. James Platt kann seinen vollmundigen Bass gekonnt zwischen Gewalttätigkeit, Hilflosigkeit und Klamauk changieren lassen. Überhaupt sind es die Auftritte der Handwerker, die den Opernabend mit Lebendigkeit füllen und vergnüglich machen. Ihre Theatershow am Ende sorgt für überraschend viele Lacher im Publikum. Obwohl es eigentlich eine doppelbödige Vorführung ist, die Huffman gekonnt auf die Bühne bringt.
Die Liebespaare kommen mit sich selbst nicht ins Reine
Hinter allem Klamauk rund um eine frivole Wand, zwei übergroße Puppen oder zwei Handwerker im Löwenkostüm tut sich das große Happy End zunächst schwer. Die beiden verwirrten Liebespaare kommen mit sich selbst nicht ins Reine. Die Hermia von Karis Tucker kann sich gegen ihren Lysander (Gideon Poppe) mit ihrem warmen Mezzo behaupten, Jeanine De Bique ihre durch all die Zauberei verunsicherte Helena mit Leidenschaft aussingen. Demetrius (Samuel Dale Johnson) erweist sich wie Lysander als Störenfried im Theaterspiel. Und Gastgeber Theseus (Padraic Rowan) ist ein versoffener Diktator, den es kaum zu seiner Hippolyta (Annika Schlicht) zieht. Am Ende hilft nur noch ein Männerballett, das jeden Kölner Karneval fröhlich stimmen würde. Das Publikum jubelt am Ende dem Dirigenten, den großen und kleinen Sängern und sogar dem Regisseur zu.