Karen Gomyo hat noch nie in der Manege gespielt. Doch bei Roncalli wird sie im Tempodrom die Solistin beim Silvesterkonzert sein.
Im Zirkus ist Karen Gomyo noch nie aufgetreten – so, wie es am Silvestertag im Circus Roncalli im Tempodrom der Fall sein wird. Die Darbietung in der Manege wird ihr Debüt beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin (DSO) sein. Die Stücke, welche die Geigerin gemeinsam mit den anderen Musikern hierfür ausgewählt hat, kennt sie jedoch schon lange.
Die Endzwanzigerin, als Solistin in den berühmtesten Konzertsälen der Welt in zunehmendem Maße gefragt, hat abseits des großen, etablierten Violinrepertoires von Bach über Mozart und Beethoven bis zu Philip Glass vor allem ein Faible für den Tango. Mit dem DSO unter Leitung von Cristian Măcelaru wird im Tempodrom Astor Piazzollas legendärer Libertango zu hören sein, in einer Fassung wie er noch nie zuvor erklang: als Orchesterstück mit Sologeige.
Karen Gomyo hat das möglich gemacht. Sie rief bei Pablo Ziegler an, einem heute 75 Jahre alten Pianisten, der in den letzten zehn Jahren von Astor Piazzollas großer Karriere in dessen Ensemble spielte. Nein, ein Arrangement des legendären Libertango für Geige und Orchester gebe es bisher nicht, sagte Ziegler ihr, aber er würde für Karen Gomyo und ihr Berliner Zirkuskonzert eines anfertigen.
Wohnung eine Art Basislager für neue Experimente
Seit drei Jahren wohnt Karen Gomyo in Berlin. Der Grund, weshalb sie sich für diese Wohnung in Prenzlauer Berg entschieden hat? Unter anderem, weil ihr Tangostudio gerade um die Ecke liegt. Die Geigerin sitzt am Küchentisch und weist durchs Fenster in Richtung Straße. Das mit dem Tango ist für sie trotzdem vorläufig eine Art Traum geblieben. Ja, sie geht manchmal tanzen – wenn sie hier ist.
Wer die für 2020 mit Karen Gomyo geplanten internationalen Konzerte durchschaut, weiß: Das kommt nicht oft vor. Jedenfalls hält sich die in Japan geborene Kanadierin nicht oft über eine längere Zeit in Berlin auf – auch wenn sie es gern würde. Für Gomyo und ihren aus Neuseeland stammenden Partner ist das Dachgeschoss eher eine Art Basislager nach und vor neuen Expeditionen in die Welt. In der Tanzschule sei ein anderer Hobby-Tänzer mit ihr zusammen eingestiegen, sei aber mittlerweile zu gut für sie, gibt Karen Gomyo lachend zu. Sie selbst geht mittlerweile zu selten in Berlin tanzen. Tango verlange eben Übung, wie das Geigespielen auch.
Sie möchte eine andere Seite von Paganini zeigen
Dafür immerhin erübrigt Karen Gomyo so viel Zeit, dass sie neben den großen solistischen Auftritten in der New Yorker Carnegie Hall, in Sidney oder Tokio die fingerbrecherischen technischen Erfordernisse von Niccolò Paganinis Violinwerken bewältigt – und nicht nur desjenigen Paganini, welchen die Klassikwelt zu kennen meint. Mag sein, für das Zirkuskonzert mit dem DSO zu Silvester wird Karen Gomyo den üblichen Show-Paganini zum Besten geben, im „Karneval in Venedig“ kann sie alle virtuosen Möglichkeiten ihres Instruments zeigen.
Wenn sie aber von Paganini spricht, stellt man sich nicht den hageren Mann mit den glühenden Augen und dem wild umherfliegenden schwarzen Haar vor, der die Geige hochreißt wie ein gerade erlegtes Tier. „Wir wollten andere Seiten von Paganini zeigen: Er war auch Gitarrist. Natürlich sind auch einige seiner Gitarrenstücke grell und glitzernd, aber es gibt hier auch die delikaten, intimen, zarten Momente.“ Vor Kurzem hat sie die Kammermusik von Niccolò Paganini für Geige und Gitarre eingespielt, gemeinsam mit dem Gitarristen Ismo Eskelinen.
Berlin als idealer Ort, um mehr eigene Projekte umzusetzen
Ihre eigenen Projekte, fernab der Wünsche der Agenturen und internationalen Konzertveranstalter, möchte Karen Gomyo zukünftig öfter umsetzen, und Berlin empfindet sie als den idealen Standort dafür. Nach drei Jahren in der Stadt hat sie hier Kollegen gefunden, ebenfalls international tätige Musiker, die sich gern für Programme abseits des Mainstreams zusammentun würden. „Das Zusammenstellen von Konzertprogrammen ist heute wieder kreativer geworden.“
Karen Gomyo blickt dabei auf Programme der großen alten Virtuosen Yehudi Menuhin oder Nathan Milstein aus den 50er-Jahren zurück. Da konnte schon mal nach einer klassischen Violinsonate ein ausgewachsenes Violinkonzert nicht mit Orchester, sondern nur mit Klavierbegleitung gespielt werden. Oder aber ein kleines Unterhaltungsstück, etwa von Fritz Kreisler. Und dann wieder eine Uraufführung. Man gestaltete die Programme flexibler damals, bunter, kleinteiliger. Da möchte auch Karen Gomyo hin. Berlin und seine wache und lebendige Musik- und Musikerszene sollen ihr dabei helfen.
Circus Roncalli im Tempodrom am 31. Dezember 2019, 15 und 19 Uhr, sowie am 1. Januar 2020, 18 Uhr.