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„Judy“: Renée Zellweger am Ende des Regenbogens

| Lesedauer: 8 Minuten
Peter Zander
Völlig entkräftet sitzt Judy Garland (Renée Zellweger) in ihrer Garderobe. Und muss doch gleich auf die Bühne und das Publikum begeistern.

Völlig entkräftet sitzt Judy Garland (Renée Zellweger) in ihrer Garderobe. Und muss doch gleich auf die Bühne und das Publikum begeistern.

Foto: Entertainment One

Das Kinojahr fängt ja gut an: Renée Zellweger brilliert in dem bewegenden Filmdrama „Judy“ als Judy Garland. Auch als Sängerin.

„Irgendwo über dem Regenbogen“, heißt es in dem Filmsong „Over the Rainbow“, „ist der Himmel blau. Und die Träume, die du dich traust zu träumen, werden wirklich wahr“. Es ist ein Sehnsuchtslied, von der damals erst 16-jährigen Judy Garland, so traurig und melancholisch gesungen, dass MGM-Boss Louis B. Mayer es eigentlich aus dem Film „Der Zauberer von Oz“ rausschneiden wollte. M

an konnte ihm vom Gegenteil überzeugen. Das Lied wurde zum Welthit, der Film ein Klassiker, Judy Garland über Nacht zum Star. Doch für sie blieb der Song immer auch eine düstere Vorahnung, dass die Träume diesseits des Regenbogens sich nicht erfüllen sollten. Wie der Film „Judy“, der am 2. Januar in die Kinos kommt, eindringlich zeigt.

Ein ganzes Leben, vom Ende her erzählt

Judy Garland ist darin ein Wrack, das kraftlos und ausgezehrt in ihrer Garderobe sitzt, ja in sich zusammengesunken nur noch über dem Stuhl hängt. So jemanden müsste man eigentlich zum Arzt schicken oder gleich ins Krankenhaus. Judy Garland aber wird auf die Bühne geschickt. Weil das in ihrem Vertrag steht. Und so rappelt sie sich auf und wankt, einmal mehr, auf die Bühne. Um zu funktionieren. Wie sie ja immer funktioniert.

Das ganze Drama des Aunsahme-Stars Judy Garland, die 1969 viel zu früh, mit gerade einmal 47 Jahren gestorben ist, ist in dieser einen Szene festgebrannt. Und sie wird sich leitmotivisch wiederholen. In einer Rückblende sehen wir Judy als noch junges Starlet, für den das Filmstudio ein Geburtstagsfest ausrichtet, Wochen vor dem wirklichen Geburtstag, mit einem Swimming Pool, in den das Mädchen aber nicht springen darf, weil sie sonst wieder Stunden in der Maske verbringen müsste.

Ein schrecklicher MeToo-Moment

Voller Trotz badet sie dennoch. Und dann nimmt sie der große mächtige Louis B. Mayer ins Gebet. Mitten in den knallbunten Kulissen von „Der Zauberer von Oz“ drängt er sie in einen Schuppen, verschließt das Tor und rückt ihr dabei so unangenehm nah auf die Pelle, dass sofort alle „MeToo“-Alarmglocken schrillen, und manipuliert sie so perfide, dass sie am Ende spuren wird – und, so zeigt der Film, danach ein Leben lang, oder in ihrem Fall besser: ein Leben kurz gespurt hat.

In einer Zeit, in der Action-Spektakel und Superhelden das Kino klar dominieren, sind Filmbiographien nach wie vor schwer angesagt. Weil sie, als eine Art Gegengift, von etwas erzählen, das die computeranimierten Filme gar nicht kennen und auch nicht generieren können: das wahre Leben.

Die klassischen Biopics, die das Leben eines Stars von der Kindheit bis zum Ende chronologisch abhandeln, sind allerdings längst passé. Heute werden solche Lebensläufe von einem Schlüsselmoment ausgehend erzählt. Oder aber von deren Ende her. Wie „Judy“, der auf Peter Quilters Theaterstück „End of the Rainbow“ basiert, das auch schon im Berliner Schlossparktheater gezeigt wurde.

Das Leben vom Ende her erzählt

Der Film folgt derselben Dramaturgie wie kürzlich das bewegende Drama „Stan & Ollie“ über das große Komiker Duo Stan Laurel und Oliver Hardy: Am Ende angekommen, in Amerika schon fast vergessen und in finanziellen Nöten obendrein, wird das Heil in einer letzten Show in London gesucht. Was, ohne dass man das geahnt hätte, kein Comeback, sondern das Ende der Karriere bedeutet.

Wir sehen Judy Garland zuerst, wie sie ihre jüngsten Kinder mit auf die Bühne nimmt. Dafür kriegt sie keineswegs Traumgagen wie früher, aber sie braucht jedes Geld. Zurück im Hotel. hat man ihre Suite anderweitig vergeben. Sie hat keinen Kredit mehr.

Also muss sich der einst so gefeierte, nun aber heruntergekommene Star zu dem Deal überreden lassen, ihre Kinder bei deren Vater (Rufus Sewell) zu lassen, Gatte Nummer Vier, von dem sie sich längst getrennt hat. Und für ein fünfwöchiges Engagement nach London zu fliegen. Um für die Kinder sorgen zu können, muss sie erst mal so weit wie möglich weg von ihnen.

Garlands Triumph wird auch Zellwegers Triumph

Eine ganze Stunde sehen wir Renée Zellweger als Wrack zwischen Alkohol, Schlaftabletten und Aufputschmitteln durch das Ende ihrer Karriere taumeln, bevor sie das erste Mal die Londoner Bühne betritt. Da glaubt man schon kaum, dass sie es überhaupt noch mal schaffen und je singen wird.

Aber dann ergreift sie, ohne zuvor auch nur geprobt zu haben, das Mikro. Stimmt leise „By Myself“ an. Hebt ab und lässt schließlich ihre Stimme schmettern. Und der Film hält die Luft an.

Jeder andere Regisseur hätte diese Szene mit vielen Schnitten und Gegenschnitten inszeniert: Großaufnahmen vom Gesicht des Stars, Totalen vom Bühnengeschehen und die Reaktionen des zunehmend begeisterten Publikums.

Nicht so Rupert Gould. Bei ihm verweilt die Kamera den ganzen Song, über, vier Minuten lang, ganz bei Renée Zellweger. Spätestens dann ist die Symbiose Garland-Zellweger perfekt. Und Garlands Triumph wird auch der der Zellweger.

Auch Zellweger kennt den Karriereknick

Renée Zellweger war lange das etwas kieksende Starlet, das durch Hollywoodkomödien wie „Bridget Jones“ stakste. Singen konnte sie eher nicht, wie sie im Filmmusical „Chicago“ bewies. Nun hat sie sich an eine der ganz Großen gewagt, an eine Ausnahmefrau mit einer Jahrhundertstimme – und zeigt der Welt, wie sehr sie sie unterschätzt hat.

Auch wir haben ihre darstellerischen Leistungen bislang bezweifelt. Jetzt aber müssen wir, beschämt und beglückt zugleich, feststellen, dass Zellweger eine echte, eine großartige Schauspielerin ist, die ganz hinter ihrer Figur verschwindet.

Der Preis dafür war vielleicht, dass auch Zellweger lange Everybody’s Darling war. Und dann einen herben Karriereknick erleben musste, wo nur noch hämisch spekuliert wurde, ob die Frau mit dem offensichtlich operierten Gesicht wirklich noch Renée Zellweger ist.

Jetzt ist sie wieder da. Spielt mit 50, kaum älter als das Original in deren letzten Tagen, Judy Garland. Singt deren legendäre Hits. Und auch wenn sie an deren Stimmkraft nicht ganz herankommt, schlägt sie sich mehr als wacker. Und gibt nichts weniger als die Performance ihres Lebens.

Ein Finale mit Gänsehautmoment

Eine Frau, die vom Leben verbrannt wird. Die immer zurück auf die Bühne muss. Dort ihre Fans verzaubert. Und doch am Ende allein zurück bleibt. Mit diesem grandiosen und bewegenden Drama fängt das Kinojahr schon mal gut an. Und legt die Latte hoch.

Judy Garland ist nur wenige Wochen nach diesem letzten Show-Engagement in London gestorben. Das wird nicht mehr gezeigt im Film. Und wurde doch die ganze Zeit über gezeigt.

Stattdessen stimmt der Star ganz am Ende des Films doch noch seinen größten Hit an: „Somewhere over the Rainbow“. Auch von dem glaubte man schon, der Film würde sich nicht an ihn herantrauen. Und dann wird das noch ein ganz großes Gänsehaut-Finale. „Ihr werdet mich doch nicht vergessen?“, haucht Zellwegers Garland danach ins Mikrofon. Ein flehender, ein bangender, ja ein bettelnder Satz, der am Ende so vieler Star-Biografien stehen könnte.

„Judy“: Der Trailer zum Film

Biopic USA 2019 118 min., von Rupert Goold, mit Renée Zellweger, Jessie Buckley, Finn Wittrock, Rufus Sewell, Michael Gambon