Berlin. „Ich spreche über alles, ich kenne keine Tabuthemen“, sagt Komponistin Chaya Czernowin. Da ahnt sie noch nicht, dass wir gleich über Liebe und ihre eigene Ehe mit einem Komponisten sprechen werden. Beim Thema Künstlerehen meint sie scherzhaft: „Die Frauen haben sich immer umgebracht.“ Irgendwann winkt sie ab.
Dabei hat sie selbst die Vorlage für das unerschöpfliche Thema gegeben, sogar in einer abendfüllenden Opernform. In der Deutschen Oper wird am Freitag ihre vierte Oper „Heart Chamber“ uraufgeführt. Das Opernhaus verspricht „eine Oper über die Liebe, die kleinsten und größten Momente in der Begegnung zweier Menschen.“ Zwei Sängerstars, Patrizia Ciofi und Dietrich Henschel, werden die Hauptfiguren verkörpern. Die Maßstäbe liegen also hoch.
Zwei Seelen treffen in der neuen Oper aufeinander
Auf die Frage, ob sie Spezialistin für die Liebe sei, muss Chaya Czernowin lachen. Über die Frage, ob sie gerne kitschige Liebesfilme im Fernsehen sieht, lächelt sie etwas ungeduldig hinweg. Beim Thema Liebe hat sie artifiziellere, tiefschürfendere Dinge im Sinn. „Es geht um die Gefahr, wenn man sich öffnet. Keiner weiß, was dann passiert“, sagt sie. „Es ist eine tektonische Veränderung, wenn man einen anderen Menschen in sein eigenes Leben hineinlässt. Es ist zugleich eine große Chance zu wachsen und glücklich zu werden. Gefahr und Chance machen die Liebe zu etwas Verrücktem. Diesen Zustand will ich betrachten.“
Ihre neue Oper verwendet wieder ein dialogisches Prinzip. Es gäbe einen Mann und eine Frau, sagt die Komponistin, die erstmals auch ihren Text selber geschrieben hat, aber die Figuren seien nicht gegendert. Es seien einfach zwei Seelen. „Jede Seele hat ihre innere Stimme, jede Figur führt also auch einen Dialog mit sich selbst. Die externe Stimme kann also sagen, geh weg, die innere Stimme sagt, bitte bleib.“ Im Stück geht es auch um Träume oder besser Albträume von traditionellen Rollenmustern.
Die Komponistin unterrichtet in Harvard
Chaya Czernowin gehört zu den polyglotten Komponistinnen. Eigentlich lebt die gebürtige Israelin, Jahrgang 1957, mit ihrem Mann, dem Komponisten Steven Takasugi, in Boston. „In Harvard habe ich die tollste Kompositionsklasse. Die unterrichte ich jede Woche. Aber ich bin ansonsten so viel unterwegs, dass ich gar nicht richtig im Bostoner Leben drin bin.“ Es ist eher eine Oase für den Rückzug. Eigentlich, sagt sie irgendwann im Gespräch, lebe sie auf drei Kontinenten.
Nach Berlin, wo sie inzwischen auch Mitglied der Akademie der Künste geworden ist, war sie als 25-Jährige mit einem Stipendium gekommen. Eine aufregende Zeit, an die sie sich gerne erinnert. „Meine Eltern sind Holocaust-Überlebende und ich habe alle Symptome der zweiten Generation. Aber ich wollte davon in Israel nichts wissen. Ich bin sehr offen nach Deutschland gekommen und ich habe hier magische Momente erlebt“, sagt sie.
Bei aller Innerlichkeit hält sie ihre Oper für politisch
In Lankwitz wohnte sie damals und einmal dauerte eine Probe sehr lange und sie musste ein Taxi nehmen. „Ich plauderte mit dem Taxifahrer und als ich am Ende fragte, was es kostet, sagte er, im Namen der deutsch-israelischen Freundschaft habe ich sie umsonst gefahren.“ Natürlich wisse sie, fügt sie hinzu, dass inzwischen vieles von der Freundlichkeit untereinander verloren gegangen ist, auch in Israel und auch in den USA.
Bei aller Innerlichkeit hält sie ihre Opern für politisch. „Ich wusste schon sehr früh, was ich machen wollte, nämlich mein Innenleben nach außen bringen. Das ist eine politische Haltung, denn über Kriege, soziale Probleme und rein Politisches zu schreiben, scheint mehr Berechtigung zu haben als unser Innenleben zum Thema zu machen. Wir schauen nicht genug in uns hinein.“
Ihre Opern würden in Zwischenwelten spielen, sagt die Komponistin. In ihrer ersten Oper „Pnima.. ins Innere“ nach einer Novelle von David Grossmann, die für die Münchner Biennale entstand, ging es um einen alten Mann und ein Kind und die Schwierigkeit, nach dem Holocaust über das eigene Trauma zu reden. „Den Versuch, ein Trauma zu kommunizieren, halte ich für ein universelles Thema, weil viele Menschen in unserer Welt mit verschiedensten Traumata umgehen müssen.“
Die dritte Zusammenarbeit mit Regisseur Claus Guth
Claus Guth bereitet die Uraufführung an der Deutschen Oper vor. „Ich vertraue meinen Regisseuren“, sagt Chaya Czernowin und weicht damit geschickt Fragen nach Missverständnissen oder Umdeutungen aus. Mit Claus Guth ist es bereits ihre dritte Zusammenarbeit.
Inzwischen hat sie auch ihre Opernmusik das erste Mal mit Orchester gehört. Dieser Moment ist für Komponisten eine Art Geburt, denn zuvor fand die Musik nur im Kopf oder auf dem Papier statt. „Wir sind bei 80 Prozent“, sagt die Komponistin: „Ich bin sehr zuversichtlich. Das Orchester ist toll, Musiker sind in der Pause zu mir gekommen. Das ganze Haus steht hinter der Produktion.“
Bleibt noch die Frage, wie sie denn nun ihre eigene Ehe mit einem in der Musikwelt bedeutendem Komponisten empfindet. „Was uns verbindet ist das Gefühl, dass wir eine Symmetrie haben“, sagt Chaya Czernowin: „Es gibt keine schlechte Symbiose, in der einer stärker und der andere schwächer zu sein hat.“