„Es war einmal...“ Diese einleitende Phrase aus einigen klassischen Märchen scheint sich nicht um die Zwänge heutiger Kulturproduktion zu scheren. „Maleficent: Mächte der Finsternis“, die Fortsetzung der 2014 ins Kino gekommenen, spektakulären Realverfilmung von Walt Disneys 60 Jahre altem Zeichentrick-Klassiker „Dornröschen“, erlaubt sich einen entsprechenden Spaß. Die Erzählerin korrigiert sich eingangs, setzt noch einmal an und beginnt mit: „Es war zweimal...“
Zu diesem kalauernden Wortspiel gibt es ein vielsagendes erstes Bild: Das Logo des Disney-Konzerns, das Neuschwanstein-ähnliche Schloss, entpuppt sich als einer der Hauptschauplätze des somit begonnenen Films.
Erste Bilder: der Trailer zum Film
Content ist hier wichtiger als Dramaturgie
Fortan sollte man bei „Maleficent 2“ wohl weniger von einer Märchenadaption sprechen, sondern von einer Selbstinszenierung des größten Medienunternehmens der Welt, in der die versammelten Figuren, Prinzessin Aurora (Elle Fanning), Prinz Philip (Harris Dickinson), die böse Fee Maleficent (Angelina Jolie) und Königin Ingrith (Michelle Pfeiffer) zu Markenbotschaftern verkommen.
Konsequent wird hier Content wichtiger als klassische Dramaturgie. Spektakuläre Jagden durch die Luft, gigantische Schlachten, höfische Intrigen, Szenen romantischer Liebe, unheimliche alchemistische Experimente, ein versuchter Genozid und hyperkitschige Naturidyllen wechseln in so rascher Folge, dass für den Kern der Geschichte kaum mehr Raum bleibt.
Nicht die Stief-, die Schwiegermutter ist die Böse
Leidlich erholt von ihrem Dornröschenschlaf, aus dem sie im Vorgängerfilm durch Maleficents Kuss erweckt worden war, bekommt Aurora von Philip einen Heiratsantrag. Verzückt nimmt sie an. Der junge Frieden zwischen dem moorigen Land der Feen und Zauberwesen und der Menschenwelt scheint gefestigt.
Doch Philips Mutter, Königin Ingrithd, provoziert einen Bruch mit Auroras eifersüchtiger Patin Maleficent und kurbelt unter der Hand die Produktion chemischer Waffen an, um mit einem Schlag alle Moorbewohner zu vernichten. Während die notorische Einzelgängerin Maleficent sich in die tiefsten Tiefen ihrer Familiengeschichte begibt und aus ihresgleichen eine eigene Armee formiert, kämpft Aurora verzweifelt darum, das Schlimmste zu verhindern.
Die Welt wird hier auf den Kopf gestellt, Gut und Böse tauschen die Rollen, historische Bezüge werden so wild durcheinandergewürfelt, wie Ludwig II. einst sein Neuschwanstein aus unterschiedlichen Baustilen zusammenbasteln ließ. Heraus kommt dabei ein fantasiesattes, grandios ausgestattetes, überwältigendes Stück Popcornkino, das symptomatisch für ein Märchen im Zeitalter seiner hochtechnisierten Multiplizierbarkeit steht.
Fake-Märchen mit Größenwahn
Den damit einhergehenden Auraverlust versucht „Maleficent 2“ durch eine aberwitzige Historisierung seines produzierenden Konzerns zu ersetzen. Derzufolge sieht sich die Walt Disney Company als Erbin einer Traditionslinie, die von der griechischen Mythologie über Barock, Aufklärung und Industrialisierung bis in Gegenwart und Zukunft reicht.
Fake-Märchen, alternative Erzählungen und Größenwahn gehen auch hier mit schaurigem Unterhaltungswert Hand in Hand.
Fantasy USA 2019 119 min., von Joachim Rønning, mit Angelina Jolie, Elle Fanning, Michelle Pfeiffer, Sam Riley