Philharmonie

Marlis Petersen ist die Elfenflüsterin

| Lesedauer: 6 Minuten
Volker Blech
Sängerin Marlies Petterson, fotografiert im Mason de France in Charlottenburg.

Sängerin Marlies Petterson, fotografiert im Mason de France in Charlottenburg.

Foto: Jörg Krauthöfer / FUNKE FOTO SERVICE / FUNKE Foto Service

Marlis Petersen ist auf Wunsch von Kirill Petrenko Artist in Residence bei den Philharmonikern. Ein Treffen mit der Sängerin.

Es leuchtet ein, dass die besten Sängerinnen auch die besten Geschichtenerzählerinnen sind. Marlis Petersen, die bei ihrem Liederabend in der Philharmonie am Donnerstag ihr Publikum in die Welt der Elfen und Nixen entführt hat, hat natürlich die passenden Geschichten parat. „In Island leben die Menschen mit der Anderswelt“, sagt sie. Dann erzählt sie ihre Lieblingsgeschichte von einem Ort, an dem es immer zu Unfällen kam. „Die Elfenbeauftragte des Bauministeriums hat es untersucht und festgestellt, dass es sich um einen Elfenplatz handelt. Die wollten ihre Ruhe haben. Also hat man die Straße umgeleitet.“

Die Sängerin hat offenbar ein Faible fürs Metaphysische, was alles von indianischen Schamanen über indische Naturheilkunde bis hin zu Richard Wagners Nornen umfasst. „Eine Innenschau zu halten, ist ja für uns heute nichts Fremdes mehr“, sagt sie: „Viele gehen mal zum Psychologen oder machen Yoga. Die Anderswelt ist nicht weit weg.“ Sie hat dafür unter dem Titel „Dimensionen“ eine CD-Trilogie mit sinnlichem Liedgut bekannter Komponisten eingesungen, gerade ist der letzte Teil „Innenwelt“ erschienen. „Ich habe die Menschen auf­gefordert, mal ins Drüben zu schauen. Ins Jenseits von Stress und Hamsterrad. Sich mal die Zeit zu nehmen und sich in der Natur unter einen Baum zu setzen. Dort beginnt eine andere Wahrnehmung des Lebens. Insofern bin ich Klimaschützerin und Elfenschützerin.“

Eines Tages kam der Anruf der Berliner Philharmoniker

Marlis Petersen kann im Gespräch so wunderbar lachen, und das klingt völlig diesseitig. Die Sopranistin, 1968 in Sindelfingen geboren, ist in der Opernwelt eine gestandene Größe. In Berlin wird sie in dieser Saison mehrfach zu erleben sein, was mit dem neuen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker zu tun hat. „Ich hatte mit Kirill Petrenko 2015 die ,Lulu‘ gemacht. Er sagte mal in einem beiläufigen Satz, er habe da noch eine Idee. Eines Tages kam der Anruf der Berliner Philharmoniker mit der Einladung, Artist in Residence zu sein für die Antrittssaison von Kirill Petrenko. Es war eine wunderbare Überraschung für mich.“

Das Berliner Publikum konnte die Sopranistin bereits im Open-Air-Konzert mit Beethovens Neunter am Brandenburger Tor erleben. „35.000 Menschen!“, sagt sie. Dann zögert sie einen Moment, und man merkt, wie sie der Überwältigung nachfühlt. „Es war hochemotional. Ich nenne die Philharmoniker einen wunderbaren Haufen, ich habe sie jetzt näher kennengelernt. Es war spannend zu erleben, wie die Musiker Stück für Stück mit Kirill Petrenko verwachsen. Jedes Mal war im Konzert ein weiterer Schritt in die Musik hinein zu spüren. Ich habe manchmal gestaunt wie ein kleines Kind.“

Mit Petrenko hatte die Sängerin das erste Mal bei der „Lulu“ an der Bayerischen Staatsoper gearbeitet. Die „Salome“ in München war für beide neu. „Wir sind beide gemeinsam hineingewachsen“, sagt sie: „Mein Verhältnis zu Petrenko ist ein Verstehen ohne Worte. Wenn wir musikalisch arbeiten, weiß ich immer, was er will. Und er spürt mich komplett. Das ist ein Musizieren auf Augenhöhe.“

Alban Bergs skandalös berühmte Lulu war die Vorzeigepartie von Marlis Petersen. „Die Partie war für mich irgendwie ein Ruf, eine Herzensrolle, die mich immerhin 18 Jahre lang begleitet hat.“ Beim Begriff Lieblingsoper zögert sie aber und spricht plötzlich über die Salome. Sie interessiere sich immer Rollen, die eine besondere Psychologie von Menschen offenbaren. „Salome, eine 16-Jährige, die einen Kopf auf dem Silbertablett fordert, ist sicherlich keine ganz normale Tochter.“

In Berlin war die Sängerin das erste Mal als Königin der Nacht an der Deutschen Oper aufgetreten. Danach kam sie öfters her. 2008 wollte sie sogar von Frankfurt nach Berlin ziehen. „Aber ich hatte Pech, weil ich innerhalb von neun Monaten keine passende Wohnung fand. Im Winter bin ich für eine Produktion nach Athen gekommen, es war warm, und es strahlte ein blauer Himmel. Also bin ich mit Sack und Pack da rübergezogen.“ Ihren Hauptwohnsitz hat sie inzwischen auf der Halbinsel Peloponnes, darüber hinaus eine Residenz in Wien.

Neben Gesang hatte Marlis Petersen in Stuttgart auch Schulmusik und Stepptanz studiert. Sie glaubt, dass das ihre Karriere beeinflusst hat. „Die Schulmusik mit Hauptfach Klavier hat enorm viel gebracht. Ich kann mir meine ganzen Opern selber einstudieren. Die Tanzausbildung an der New York City Dance School in Stuttgart hilft für die dauerhafte Agilität auf der Bühne. Ich kann gar nicht gut singen, wenn ich mich nicht bewege. Meine ersten Liederabende fühlten sich wie ein Korsett an, weil man sich kaum bewegt. Heute weiß ich, dass es mit der inneren Bewegung geht.“

Die Sängerin spricht freimütig über die Gefahr eines Burn-outs im Opernbetrieb. „Die Idee, eine Trilogie zu machen, kam sicherlich auch aus der Müdigkeit des Alltags. Es macht mir wahnsinnig Spaß, etwas zu erfinden. Das holt mich mal aus dem Alltag raus, in dem sich alles wiederkäut. Ich hatte 2012 eine Phase, in der ich einfach nicht mehr reisen wollte. Das Lernen fiel mir schwer, ich stellte ­alles infrage. Das ist der Augenblick, in dem man sich hinsetzt und fragt, was möchtest du eigentlich machen?“ Offenbar hat sie im Liedgesang die Antwort gefunden: Sie ist die Elfenflüsterin.