Berlin. Man kann aus wenig sehr viel machen. Das ist eine der Lehren aus Yann Tiersens Konzert am Donnerstagabend im Admiralspalast. Mit dem Soundtrack zum Film „Die fabelhafte Welt der Amélie” hat sich der scheue Franzose in unser aller Ohren gefressen. Auch mit seinen Soloalben gelingt ihm das seltene Kunststück, mit ein paar simplen Akkorden Kritiker und Publikum gleichermaßen in Bann zu ziehen.
Befreit von ihrer sorgsam gefertigten Klangummantelung bleibt von Tiersens Kompositionen nämlich erstaunlich wenig übrig. Wenn Tiersen am Flügel sitzt, ist es ungefähr Folgendes: Über das Fundament gebrochener Dreiklänge in der linken Hand spielt die rechte unter sparsamer Zuhilfenahme des dazugehörigen Tonleitermaterials äußerst eingängige Melodien oder Pattern, die sich in seichten Abwandlungen ewig wiederholen. Experimente werden nicht gemacht. In der Folge lassen zuckersüße Akkordfolgen in Dur-Moll-Dur oder Moll-Dur-Moll nicht nur Verliebte dahinschmelzen. Man kann gar nicht anders, als sich zu dieser Musik permanent dramatische Kuss- oder Abschiedsszenen aus alten Filmklassikern vorzustellen.
Es wurde schon häufig gesagt und es stimmt nach wie vor: Technisch wäre jeder halbwegs talentierte zehnjährige Klavierschüler in der Lage, diese Tunes zu spielen. Beweis ist der Amélie- und Klavierunterrichtsschlager „Comptine d'Un Autre Été”, zu dem haufenweise die Handys gezückt werden.
Nichts stört die erhabene Simplizität von Tiersens Themen
Haarscharf am Kitsch vorbei ist so etwas. Wäre da nicht eben jene erwähnte sorgsam gefertigte Klangummantelung. Sie wird unter anderem von Alex geliefert. Alex ist das wie ein persönlicher Freund vorgestellte Tonbandgerät, das sich in der Bühnenmitte dreht und von dem (zum Schein) die Hintergrundgeräusche stammen, mit denen Tiersen seine Tracks unterlegt. Möwenschreie, Windrauschen, Taubengurren. Atmosphärische „field recordings“, die Tiersen vor allem auf der Insel Ouessant in der Bretagne macht, wo er wohnt.
Außerdem wird sehr viel Hall in den Sound gedreht und stimmungsvoll die Bühne illuminiert. Tiersens Mitmusiker, denn er ist nicht ganz solo unterwegs, spielen mit den Möglichkeiten der diversen Tasteninstrumente, singen, streicheln theatralisch Trommeln. Alles dient der exquisiten Grundierung, nichts stört die erhabene Simplizität von Tiersens Themen. Er selbst wechselt ab und zu an die Violine, tupft das Rhodes-Piano, schwingt das Hämmerchen gegen metallene Klangzylinder. Die Grenzen zwischen Konzert und Theaterzauber verschwimmen.
Böse Zungen würden Tiersens Stücke als supertoll relaxte Hintergrundmusik bezeichnen, und das sind sie. Andere wiederum suhlen sich in dieser Musik und lassen ihre Seele ein ums andere Mal ein warmes Bad darin nehmen. So gesehen war der Admiralspalast am Donnerstag eine riesige wohlig-heiße Badewanne. Wer Tiersen-Fan ist, ist es richtig, denn mag man ein Stück, mag man alle. Umgekehrt gilt das natürlich auch.