Wie lebt es sich als Schriftstellerin und Fußpflegerin? Und warum müssen wir mehr auf unsere Füße achten? Ein Gespräch

Katja Oskamp dürfte etwas Einzigartiges in der deutschen Literatur geschafft haben. Wahrscheinlich ist sie die einzige Schriftstellerin, die auch als Fußpflegerin arbeitet. Vor Kurzem ist ihre Geschichtensammlung „Marzahn, mon amour“ erschienen. Dort erzählt die mehrfach preisgekrönte Autorin berührend und komisch von ihren Kunden im Ost-Berliner Hochhausviertel und davon, wie sie ihre Füße behandelt. Zum Interview treffen wir die Berlinerin an ihrem Arbeitsplatz – das „MP20“ ist ein Kosmetik- und Fußpflege-Salon an der Marzahner Promenade. Dort werden übrigens die Termine nicht im Computer, sondern noch ganz altmodisch mit Bleistift im Terminbuch eingetragen.

Frau Oskamp, Ihr letzter Kunde ...

Katja Oskamp … war ein sehr netter Herr, den ich noch nicht so lange habe. Er ist um die 60 Jahre alt und Fernfahrer. Jeden Tag ist er 600 Kilometer auf Achse. Als er jetzt zu mir kam, waren seine Zehennägel sehr lang. Schon zwei Paar Socken sind kaputtgegangen.

Wann arbeiten Sie als Schriftstellerin und wann als Fußpflegerin?

Mittwochs und donnerstags als Fußpflegerin. Immer von 10 bis 19 Uhr, manchmal beginne ich schon um neun, und es dauert auch länger, weil man einfach so viele Kunden hat. Von Freitag bis Dienstag arbeite ich als Schriftstellerin.

Wie kam es dazu, dass Sie Fußpflegerin wurden?

Das kam in einer Zeit zustande, als mein Leben ein bisschen festhing. Ich war Mitte 40. Meine Tochter war ins Ausland gegangen, meine Mutti-Funktion also im Leerlauf. Mein Mann war außerdem sehr krank. Und ich hatte was geschrieben, was kein Verlag drucken wollte. Ich hatte einen Frust, der mir schon selber auf den Keks ging. Einer Freundin habe ich mein Leid geklagt. Sie ist meine heutige Chefin. Damals sagte sie zu mir, wenn ich nichts zu tun habe und Arbeit haben wolle – sie brauche eine Fußpflegerin. Damit fing alles an.

Gibt es Parallelen zwischen Schreiben und Fußpflegen?

Beim Schreiben hat man immer ein Ziel. Aber meistens verfehlt man das im ersten Anlauf und kommt irgendwo ganz anders raus, als man wollte. Bei der Fußpflege ist es so: Man kann sich ziemlich sicher sein, dass man da hinten rauskommt, wo man vorne angefangen hat. Also das Ergebnis ist sehr viel sichtbarer und fassbarer. Wenn ich am Abend aus diesem Studio gehe, weiß ich genau, was ich geschafft habe und wovon ich müde bin. Beim Schreiben weiß ich das am Abend manchmal nicht.

Was sagten Ihre Schriftsteller-Kolleginnen, als Sie auf Fußpflege umgesattelt haben?

Na ja, die richtig Guten haben gedacht, das ist echt schräg. Was die sich jetzt wieder ausgedacht hat. Aber sie haben das nicht verurteilt. Natürlich gibt es Leute, die erst mal nur den sozialen Status betrachten. Die sehen den Absturz, oh Gott, die hat in Leipzig studiert, und jetzt endet sie mit Mitte vierzig als Fußpflegerin. Was für eine Tragödie. Bei meinen Schriftstellerfreundinnen hat sich das nicht so angefühlt. Sie sind ja, ähnlich wie ich, Abenteurer.

Was verraten Füße über Menschen?

Viel. Zuerst einmal, ob sich der Mensch seiner Füße überhaupt bewusst ist. Oder ob er denkt, die hat er jetzt und so bleiben sie. Die meisten beschäftigen sich ja eher mit Krähenfüßen.

Wie hoch ist der Anteil der Frauen und der Männer unter Ihren Kunden?

Zwei Drittel Frauen, ein Drittel Männer.

Warum kommen weniger Männer?

Weil die Männer halt coole Hirsche sind, die das nicht brauchen. Und die sich erst mal wie die Zicke am Strick wehren, wenn die Frau sie über die Schwelle ziehen will. Aber beim zweiten Mal kommen sie dann schon ganz zahm und freiwillig. Weil sie merken: Es ist schön.

Zur Fußpflege gehen eher ältere Menschen. Müssen sich jüngere Leute nicht auch mehr um ihre Füße kümmern?

Das ist doch bei uns allen so: Erst wenn irgendein Körperteil nicht mehr funktioniert, fangen wir an, uns dafür zu interessieren.

Betrachten Sie selber Ihre Füße heute mit anderen Augen?

Ja, natürlich. Bei meiner Ausbildung gab es erst mal eine Fußanalyse. Ich dachte vorher immer, dass meine Füße vollkommen in Ordnung sind. Nach dieser Fußanalyse hatte ich wirklich alle Fußdeformitäten, die man sich denken kann. Haben Sie auch! Wissen Sie bloß noch nicht! Meine Füße werden jeden Tag ordentlich betrachtet, ich spreche auch mit ihnen, und sie werden eingecremt.

Das Buch trägt den Titel: „Marzahn, mon amour“. Was lieben Sie an Marzahn?

In den Plattenbauten hat wirklich der Arbeiter neben dem Akademiker gewohnt, und das ist, glaube ich, heute immer noch so. Das gefällt mir. Dass es nicht so einen Dünkel gibt, sondern dass es eher darum geht, Gemeinsamkeiten zu finden.

Und die Hochhausburgen?

Klar ist hier Beton, aber inzwischen ist es hier auch sehr grün. Im Vergleich zur Innenstadt gibt es wahnsinnig viel Platz. Es sind immer genügend Parkplätze da. Man wird nicht von Fahrrädern oder irgendwelchen E-Rollern umgefahren. Das Shoppingcenter ist super organisiert. Sie haben sehr schöne Dekorationsideen, die sich wirklich auf die Leute hier beziehen. Die Wühltische sind aufgeräumt. Die Verkäuferinnen sind freundlich und hilfsbereit. Wir haben ’ne schöne Kneipe, die „Biertulpe“, wo die Preise in Ordnung sind. Wo man bei Moni gutes deutsches Essen bekommt.

Wie viele Füße haben Sie schon behandelt?

Zuletzt war ich bei 4500, aber die Zahl wächst wöchentlich.

Das Buch: Marzahn, mon Amour. Hanser Berlin, 144 Seiten, 16 Euro.

Lesungen: Katja Oskamp hat demnächst zwei Lesungen in Berlin. Am 22. Oktober um 18 Uhr, Ort: Rotes Sofa, Helene-Weigel-Platz 7, 12681 Berlin. Am 31. Oktober, 19 Uhr, Ort: Deutsche Gesellschaft e.V. Mosse Palais, Voßstraße 22, 10117 Berlin.