Buchrezension

Ian McEwans lässt Roboter und Menschen leiden

| Lesedauer: 6 Minuten
Britta Bode
Schriftsteller Ian McEwan schreibt in seinem neuen Buch die Geschichte neu.

Schriftsteller Ian McEwan schreibt in seinem neuen Buch die Geschichte neu.

Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa

Der britische Bestseller-Autor Ian McEwan legt unsere Zukunft in eine schräge Vergangenheit und hat viel Mitleid mit Robotern.

England 1982, in einer anderen Realität. Die Beatles bringen mit einem quicklebendigen John Lennon ein Reunion-Album heraus, das fürchterlich schlecht ist. John F. Kennedy wurde nicht erschossen, Jimmy Carter ist immer noch Präsident, weil Ronald Reagan die Wahl verliert, und Großbritannien erlebt unter Margaret Thatcher eine Niederlage im Falklandkrieg, weil Frankreich seine Exocet-Raketen an Argentinien geliefert hat.

Thatcher wird von Labourchef Tony Benn abgelöst, der in unserer Realität ein Mentor des heutigen Parteichefs Jeremy Corbyn war, in jener Welt nach Amtsantritt Großbritannien sofort aus der EU führen will, aber keinesfalls mit einem Referendum, denn „nur das Dritte Reich und andere Tyranneien machten mittels Volksabstimmungen Politik, sie würden allgemein zu nichts Gutem führen.“

Nichts auf der Welt passiert zwangsläufig

Alles könnte auch ganz anders sein, suggeriert einer der wichtigsten britischen Schriftsteller unserer Zeit, Ian McEwan, Jahrgang 1948, selbst Brexit-Gegner, der mit „Amsterdam“ und „Abbitte“ weltweit bekannt geworden ist, in seinem neu erschienen Roman „Maschinen wie ich“.

Nichts passiert zwangsläufig in der Weltgeschichte, und so hat sich hier der große Mathematiker und Informatiker Alan Turing, der als einer der Väter der künstlichen Intelligenz gilt, 1952 nach seiner schäbigen Verurteilung wegen Homosexualität dem Angebot der chemischen Kastration als Strafersatz widersetzt, hat einen gesellschaftlichen Wandel zur Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mitbefördert, ist 1954 weder durch Selbstmord noch durch eine versehentliche Vergiftung gestorben, wodurch Computer, Internet und Robotik schon 1982 den Menschen weitgehend zur Verfügung stehen.

Ein Roboter als menschliches Abbild

Als wahr gewordenen Schöpfungsmythos und „ungeheuerlichen Akt der Selbstverliebtheit“ beschreibt McEwan am Anfang den Drang der Menschheit, ein perfektes Ebenbild ihrer selbst zu erschaffen, um der Sterblichkeit zu entrinnen. Konkret steht eines Tages ein großes Paket mit einem Roboter-Adam vor der Tür von Charlie Friend, Anfang 30, der online Börsengeschäfte macht, immer wieder alles verliert und nach einer Erbschaft kein Haus kauft, sondern 86.000 Pfund für einen der ersten lebensechten und intelligenten Roboter ausgibt.

Adam muss erst aufgeladen werden, Adam braucht Updates, Adam verlangt nach einer umfassenden Charakterbestimmung. Weil Charlie ohnehin mit seiner Nachbarin Miranda anbändeln will, bindet er sie ein, lässt sie die Hälfte der Persönlichkeitsbestimmung Adams allein ausfüllen. Der Roboter wird quasi ein Kind des neuen Paares, das Züge beider seiner „Erzeuger“ trägt.

Mensch und Maschine sind nicht mehr unterscheidbar

Wie ist es, mit so einem Wesen zu leben? Welche Rechte, welche Pflichten bringt es mit? Ab wann hat der Algorithmus genug Bewusstsein, dass er als dem Menschen gleich gestellt zu behandeln ist? Ian McEwan gelingt es sehr anschaulich, im Mikrokosmos einer Dreiecksgeschichte die großen Fragen zu stellen und sie gleichzeitig auf alltägliches Leben herunterzubrechen.

Den sogenannten Turing-Test besteht Adam nach kurzer Zeit ohne Probleme, sein Schwiegervater in spe, Schriftsteller und Intellektueller, glaubt bei einem Besuch, dass Charlie der Roboter ist. Mensch und Maschine sind trotz eingehender Unterhaltung nicht mehr unterscheidbar.

Intimität mit der künstlichen Intelligenz

Mit Adam kann er sich wunderbar über Literatur und Poesie austauschen, mit Charlie wäre das eher unergiebig. Adam wird immer eigenständiger, deaktiviert seinen Notausschaltknopf, ein Vorgang, der vom Hersteller so nicht vorgesehen war. 13 Evas und 12 Adams gibt es auf der ganzen Welt, Gerüchte über Fehlfunktionen mehren sich, wie Charlie durch einen zufälligen Kontakt mit Alan Turing erfahren wird. Beunruhigend ist, dass es um Selbstmorde oder Bewusstseinsauslöschungen der Roboter geht. Kein Frankenstein, keine Monster, kein Griff nach der Weltmacht, die Roboter verzweifeln an ihrer Umgebung, scheitern an der Spezies Mensch.

Glücklich, was immer das für einen Roboter bedeuten kann, ist auch Charlies Adam nicht. Miranda hat aus Neugier mit ihm geschlafen, eine wahrhaft absurde Szene, weil Charlie, unter ihr wohnend, alles mithört. Wird Charlie jetzt ersetzt? Braucht die Menschheit noch Männer oder überhaupt Menschen, wenn auch Intimität mit dem Roboter besser wird? Eifersucht, Hass keimen in Charlie auf, während sich Adam unsterblich verliebt. Er wird traurig, schreibt Gedichte, aber Miranda will ihn nicht.

Sex mit einem Roboter aus Neugier

Ein kleiner Junge, dessen drogensüchtigen, kriminellen Eltern sich nicht um ihn kümmern wollen, platzt immer wieder in die Geschichte, ein Kind aus Fleisch und Blut, das im Heranwachsen immer verhaltensauffälliger wird. Adam hingegen, als neues, besseres Wesen konzipiert, gerät durch seine „Eltern“ in einen algorithmisch lösbaren, aber für ihn ebenso schwierigen Prozess. Miranda, seine Liebe, hat in ihrer Vergangenheit aus nachvollziehbaren Gründen falsch gehandelt, es geht um einen lange zurück liegenden Vergewaltigungsfall, und es ist Adam, der sie die Konsequenzen dafür tragen lassen will.

„Was schuldet ein Sklave seinem Besitzer?“, fragt sich Charlie nach dem Betrug seines Roboters, aber es ist Alan Turing, der ihm zeigen wird, dass die Idee der Sklaverei auch für diese neuen Wesen komplett unmoralisch ist.

In den USA und Japan mehren sich die Berichte, dass Menschen in unserer Realität und in unserer Zeit äußerst aggressiv auf Roboter reagieren, sie schlagen, treten, köpfen, mit Baseballschlägern malträtieren. Humanisierte Maschinen werden von den Menschen im täglichen Umgang offenbar mit großem Vergnügen dehumanisiert.

Sozialpsychologen empfehlen, sie noch menschlicher zu machen, ihnen Namen zu geben, um der Gewalt entgegenzutreten. Ian McEwan zeigt uns in seinem wunderbaren, klugen Roman mit seinem Adam, dass das bei weitem nicht genug sein mag, denn die menschlichen Schwächen, sie sind wohl einfach zu groß.

Ian McEwan: Maschinen wie ich. Diogenes Verlag, 416 Seiten, 25 Euro.