Ein Autor und sein Verleger gehen zusammen Mittagessen. Sie unterhalten sich gepflegt über Persönliches und Geschäftliches. Man hört heraus, dass sie alte Bekannte sind, die der Lauf der Zeit einander entfremdet hat. Der Autor (Vincent Macaigne), ein leichter Schlurfi, gefällt sich offenbar in der Rolle des Rebellen, der sich den Anpassungszwängen des digitalen Zeitalters widersetzt. Sein Verleger (Guillaume Canet) verkörpert leicht angegraut den smarten Geschäftsmann, der mit der Zeit gehen will.
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Als Arbeitsverhältnis kann das nicht länger gut gehen – und tatsächlich begreift der Autor erst am Ende des Essens, dass die Einladung ins edle Restaurant eine Art Abfindung war: Der Verleger will sein neuestes Werk nicht veröffentlichen. Was überraschender Weise den Autor gar nicht so stört, fühlt er sich durch die Absage doch in seiner Selbstwahrnehmung als radikaler Außenseiter bestärkt. Außerdem, so enthüllt der Film ein paar Szenen weiter, hat er dem Verleger ein Geheimnis voraus.
„Zwischen den Zeilen“ von Olivier Assayas gehört zu den Filmen, die man in Deutschland und der übrigen Welt als „typisch französisch“ empfindet. Was stehen soll für: Es wird sehr viel geredet, und jeder hat was mit jedem. Tatsächlich entfaltet Assayas einen filmischen Kosmos, wie man ihn aus den besten Filmen von Eric Rohmer in Erinnerung hat. Viel mehr als in den – im übrigen eher prüde gehaltenen – Bettszenen entfalten die verschiedensten Figuren im ausgiebigen Reden eine knisternde Erotik, für die sie im klassischen Hollywood-Film ganz schön viel Haut zeigen müssten.
Dichtung und Wahrheit und digitale Transition
Ein ganz eigener Sex Appeal geht zusätzlich davon aus, worüber das Ensemble – das sich Szene um Szene erweitert – hier mit solcher Leidenschaft spricht. Es sind die gegenwärtigen Probleme der Medienbranche, mithin Social Media, Blogs, E-Books und alles, was sich daraus so ergibt: Der Untergang der Buchkritik und ob man sie durch Tweets ersetzen kann. Ob Serien süchtiger machen als Filme und was ihr kultureller Stellenwert ist. Die digitale Transition und wie sie sich auf das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit auswirkt.
Dabei setzt Assayas durch seine gekonnt arrangierten Figurenkonstellationen den rhetorischen Klischees immer etwas Unauflösbares entgegen. Der Schlurfi-Autor lebt mit einer überaus ehrgeizigen Politikberaterin (Nora Hamzawi) zusammen, die bestens versteht, wieso der Verleger das Werk ihres Liebsten nicht drucken will. Der wiederum ist mit einer eher trägen, aber eitlen Schauspielerin (Juliette Binoche) verheiratet, die ihrerseits für den Autor eine große Schwäche hat.
Die richtige Dosis von Selbstironie und Meta-Ebene
Ergänzt wird dieses Quartett durch die jeweiligen Kollegen, Mit- und Zuarbeiter ihrer Branchen. Man trifft zu Arbeits- und Abendessen, zu Rendezvous und Stelldichein aufeinander und diskutiert in einem fort. In regelrecht funkelnden Dialogen fügt Assayas gerade die richtige Dosis von Selbstironie und Meta-Ebene ein.
Etwa wenn er seine Protagonisten darüber sprechen lässt, wie schön es wäre, ein bestimmtes Buch von Juliette Binoche ins Audio-Format verwandeln zu lassen. Oder im Running Gag, bei dem es darum geht, ob der Besuch eines Michael Haneke-Films in einem Roman mehr hermacht als die Feststellung, das erzählende Ich sei im neusten „Star Wars“-Film gewesen.
Reden ist nicht alles
„Zwischen den Zeilen“ heißt im französischen Original „Doubles-vies“, wobei es Assayas nicht nur um das digital-analoge „Doppelleben“ geht, in das uns das Internet-Zeitalter drängt. Die diversen, diskret gelebten Affären, in die er die Figuren verstrickt, belegen, dass keine von ihnen völlig aufgeht in dem, was sie redet oder was über sie geredet wird.
Denn Reden ist nicht alles: mit sanfter, melancholischer Heiterkeit entblößt Assayas die Ambivalenzen seiner Figuren und zeigt dabei, wie vieles doch auch gleich bleibt, gerade wenn ständig von Neuerungen und Umbrüchen die Rede ist. Barbara Schweizerhof