Berlin. Die „Tosca“ feiert in der Deutschen Oper an diesem Sonnabend ein ungewöhnliches Jubiläum: Die mittlerweile 398. Vorstellung findet genau 50 Jahre nach der Premiere statt. Puccinis Opernklassiker in der Regie von Boleslaw Barlog ist einer von Berlins Longsellern – eine unsterbliche „Tosca“.
Am Sonnabend singt Carmen Giannattasio die Sängerin Floria Tosca, Jorge de León den Maler Cavardossi und Zeljko Lucic den Polizeichef Scarpia. Am Pult steht Ivan Repusic.
In den 50 Jahren haben 78 Sopranistinnen, darunter Grace Bumbry, Gwyneth Jones oder Anja Harteros, die Tosca gesungen, 74 Tenöre wie José Carreras, Placido Domingo oder Jonas Kaufmann den Cavaradossi und 63 Baritone wie Bryn Terfel, Michael Volle oder Erwin Schrott den Bösewicht. 51 Dirigenten leiteten seit der Premiere unter Lorin Maazel die Aufführungen.
Lange Zeit wurde in der Opernwelt die Nase gerümpft über vor sich hinalternde Inszenierungen. Premierenjubel galt als das Wichtigste. Regisseure sollten immer Neues entdecken, zeitgemäß sein, ja provozieren. Inzwischen haben Besucher das Gefühl, fast alles irgendwann schon einmal gesehen zu haben. Hinzu kommt, dass sich im Gegensatz zur Filmregie die Opernregie nie als eigenes Genre festigen konnte.
Überschneidungen zwischen Film und Theater gibt es allemal, wie Barlogs „Tosca“ beweist. Der aus Breslau stammende und 1999 in Berlin verstorbene Regisseur hatte die Nazizeit als Bademeister am Wannsee überstanden, über den Film war er zum Theater gekommen. Zuletzt war er Generalintendant der Staatlichen Schauspielbühnen und einer der ersten, der Beckett in Deutschland spielte.
Rückbesinnung auf Regisseure des 20. Jahrhunderts
An den Opernhäusern gibt es inzwischen eine Rückbesinnung auf die das 20. Jahrhundert prägenden Regisseure. Die Staatsoper erinnerte zuletzt mit zwei Wiederaufnahmen an die Berliner Regisseurin Ruth Berghaus (1927–1996). Ihre „Barbier von Sevilla“-Inszenierung steht bereits seit Herbst 1968 auf dem Spielplan, hat aber weniger Vorstellungen als die „Tosca“ an der Deutschen Oper gehabt.
Berghaus’ letzte Inszenierung an der Staatsoper, Claude Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“, hatte 1991 Premiere. An der Komischen Oper ist Intendant Barrie Kosky einen anderen Weg gegangen, um an den Gründer Walter Felsenstein zu erinnern. Der österreichische Regisseur erreichte mit dem Musical „Der Fiedler auf dem Dach“ zwischen 1971 und 1988 insgesamt 506 Aufführungen, und seine Offenbachs-Operette „Ritter Blaubart“ kam von 1963 bis 1992 auf 369 Vorstellungen. Kosky inszenierte also „Anatevka“ neu, Stefan Herheim den „Blaubart“ – beide Produktionen rieben sich am Vorbild Felsenstein.
Kosky vertritt inzwischen die Auffassung, dass ein Opernhaus von seinen Wiederaufnahmen lebt. Er fände es auch dekadent, wenn so viel Geld für nur wenige Aufführungen ausgegeben wird. An der Deutschen Oper hat man bei der Jahresvorschau angekündigt, 40 Opern inklusive der Premieren zu zeigen. Im Repertoire hat man über 60 Stücke.
Große Stars machen bei Proben die wenigsten Probleme
Aber was macht einen Longseller aus? „Es braucht ein beeindruckendes Bühnenbild und eine glaubwürdig erzählte
Geschichte“, sagt Gerlinde Pelkowski. Die Spielleiterin und Regisseurin ist an der Deutschen Oper die Hüterin der Inszenierungen. Zwei Tage hat sie Zeit, neue Sänger in ihre Rollen einzustudieren. Sie meint, mit den Stars hätte man am wenigsten Probleme. Barlogs geradlinige Sänger-Inszenierung war 1987 von Götz Friedrich überarbeitet worden.
Natürlich wurden das Bühnenbild und die Kostüme über die Jahrzehnte hinweg erneuert. Dahinter offenbart sich ein Stück Zeitgeist. Toscas Kostüm in der Kirchenszene war ursprünglich Senfgelb, in den 80er-Jahren wurde es Dunkelbraun, nach einer Orange-Phase kehrte es zu den Anfängen zurück. Die Kostüme werden vom Haus vorrätig gehalten und den Sängerinnen angepasst. Lediglich die korpulentere Montserrat Caballé brachte ihr eigenes Kostüm mit.
Wegen seiner Gewichtsprobleme mussten für Luciano Pavarottis legendäre Abschiedsvorstellung 2003 szenische Änderungen vorgenommen werden. Da sich der 160-Kilo-Tenor als Cavaradossi kaum noch bewegen konnte, durfte er kurzerhand an der Staffel sitzend singen. Als sich Pilar Lorengar, die Tosca der Premiere, 1990 in der Deutschen Oper verabschiedete, gab es 36 Minuten Applaus für sie.
Aus Lorengars Ära stammt eine der hübschesten Anekdoten dieser „Tosca“. Aus Versehen hatte sie einmal das Messer vom Tisch gestoßen und fand es nicht mehr, kurzerhand griff sie sich eine Gabel, um Scarpia zu erstechen.
Deutsche Oper, Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Tel. 34384343 Am 13. und 20.4. um 19,30 Uhr