Wie dialektisch sich Gestaltungsgeschichte entwickelt, kann man allein schon an zentralen Begriffen ablesen. Im Bauhaus-Jubiläumsjahr wird allerorten das „Bauhaus-Design“ gefeiert. Der Ausdruck Design ist aber erst in den 1960er-Jahren aus dem Englischen ins Deutsche entlehnt worden. Er wird wesentlich damit assoziiert, was vor 1945 als „industrielle Formgebung“ bezeichnet wurde. Das Bauhaus hatte zunächst aber das genaue Gegenteil im Sinn: Als Gegenentwurf zum Historismus, der kunsthandwerkliche Ornamente seriell kopierte, wollten Walter Gropius und seine Jüngerschar vor 100 Jahren im Thüringischen die wahre Kunsthandwerkstradition und die Gesamtkunstwerksidee wiederbeleben.
Internationale Beispiele
Die groß angelegte Rechercheausstellung „Bauhaus imaginista“ im Haus der Kulturen der Welt (HKW) geht Dialektiken des Bauhausimpulses im globalen Maßstab nach. Anhand zahlreicher internationaler Beispiele zeigt sie Adaptionen, Übersetzungen und Transformationen, die genuin modernes Bauhausgedankengut aus den Aufbrüchen der deutschen Novemberrevolution in wechselnden politischen Kontexten in Afrika, Asien und den beiden Amerikas erfahren hat und bis heute erfährt.
Vorangegangen ist ein mehrjähriges internationales Forschungsprojekt in Kooperation mit dem Goethe-Institut, mit Workshops, Symposien und Teilausstellungen u.a. in Hangzhou, Tokio, Sao Paulo, Lagos, Delhi, New York und Moskau. Den Kuratoren Marion von Osten und Grant Watson geht es darum, „eine Perspektive auf eine transnationale Geschichte modernistischer Designpolitik zu werfen“. Diese war geprägt von Internationalismus und Nationalismus, Kaltem Krieg und Diktaturen, Kolonialismus und Unabhängigkeitsbewegungen.
„Bilden wir eine neue Zunft!“
„Bauhaus imaginista“ erstreckt sich in vier Kapiteln über das gesamte HKW. Jedes Kapitel nimmt einen besonderen Bauhaus-Gegenstand als Anknüpfungspunkt für transnationale Bezüge und assoziative Querverweise. Im Zentrum des ersten Abschnitts steht Walter Gropius’ Gründungsmanifest von 1919, in dem es heißt: „Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung“. In Indien engagierte sich ebenfalls 1919
Rabindranath Tagore für eine Überbrückung der Kluft zwischen Kunst und Handwerk. Nur ging Tagore einen entscheidenden Schritt weiter und wollte neben Klassen- auch Rassenunterschiede überbrückt sehen: „Human history is waiting for uniting all races in a bond of co-operating“.
Weitere Schlüsselobjekte sind eine Collage von Marcel Breuer, Kurt Schwerdtfegers „Reflektorischen Farbspiele“, ursprünglich kreiert für ein Lampionfest der Bauhäusler, sowie Paul Klees kleine Zeichnung „Teppich“. Klee nahm 1927 ein nordafrikanisches Teppichmuster zum Ausgangspunkt abstrakter Etüden. In der Bauhaus-Bibliothek fanden sich seinerzeit keine Moderne-Bücher, die wurden ja erst geschrieben, aber Bilderkataloge mit Skulpturen, Webarbeiten und anderen Artefakten aus Völkerkundemuseen.
Netzwerke und Migrationsbiografien
Dass die Meister und Schüler des Bauhauses aus dem Musterkatalog der Weltkunst schöpften und dabei von lokalen Kulturen und kolonialen Hintergründen abstrahierten, ist erst im Zuge postkolonialer Fragen ins Blickfeld der Forschung geraten. Durch das Aufzeigen von Parallelphänomenen und die postkoloniale Perspektive wird das Bild vom Bauhaus-Solitär, der alle Moderne-Energien in sich aufsog, bis zu einem gewissen Grad relativiert oder sogar als Produkt westlicher Propaganda entlarvt. Andere Modernen erschienen vor diesem Hintergrund lange Zeit als bloßer Abklatsch westlicher Moderne.
Die faszinierende, in Teilen aber archivlastig-spröde Ausstellung, verzichtet auf das Erzählen linearer Wirkungs- und Beeinflussungsgeschichte und geht stattdessen Netzwerken, (jüdischen) Migrationsbiografien und verschlungenen Geschichten nach. Das Bauhaus wird vorgestellt als „globaler Resonanzraum“ und kosmopolitisches Projekt. „Mit der Ausstellung ‘bauhaus imaginista’ räumen wir jeden Zweifel darüber aus, ob das Bauhaus ein politischer Ort war“, sagt der HKW-Intendant Bernd Scherer.
Die swingende Halle
Ebenfalls zu den politischen und dialektischen Ausstellungstücken darf man die swingende Kongresshalle aus den 1950er Jahren zählen, die die Ausstellung beherbergt. Der amerikanische Architekt Hugh Stubbins, der vor dem Krieg in Havard Gropius’ Assistent gewesen war, schuf im amerikanischen Auftrag einen „Leuchtturm der Freiheit“ als Freestyle-Monument liberaler Demokratie. Der elegant geschwungene Baukörper wurde auf einen künstlichen Hügel gesetzt als Botschaft an den kommunistisch regierten Teil Deutschland, wo zwar Bauhaus-inspiriert gebaut wurde, aber orientiert am „Roten Bauhaus“ des egalitär denkenden Gropius-Nachfolgers Hannes Meyer.