Noch nie hat Doris Dörrie eine Fortsetzung von einem ihrer Filme gemacht. Noch nicht mal bei ihrem Erfolgsfilm „Männer“ (1985). Nun hat sie es doch getan: Fast zehn Jahre nach ihrem berührenden Altersdrama „Hanami – Kirschblüten“ erzählt sie die Geschichte nun weiter in „Kirschblüten & Dämonen“, der am Mittwoch Berlin-Premiere in der Kulturbrauerei feiert und am Donnerstag. Im Gespräch verrät uns die 63-jährige Regisseurin, warum sie sich noch einmal auf diese Figuren eingelassen hat.
Berliner Morgenpost: Frau Dörrie, glauben Sie eigentlich an Geister?
Nein. Auf keinen Fall. Ich habe Gespenster erst in Japan kennengelernt. Die sind mehr sehr stark begegnet bei den Dreharbeiten zu „Grüße aus Fukushima“, wo wir Mühe hatten, Statisten zu finden, die in dem verseuchten Gebiet mit uns drehen wollten. Wegen der Geister. Ich habe mich dann sehr stark mit japanischen Geistern beschäftigt, auch mit japanischen Geisterfilmen. Und war ganz tief in dieser Geisterwelt.
Und wann kam Ihnen die Idee, Rudi und Trudi, Ihre Figuren aus „Kirschblüten – Hanami“ als Geister auferstehen zu lasen?
Das war, aus japanischer Sicht zumindest, völlig klar und logisch, dass ich darauf kommen musste. Die Eltern sind wieder da. Als Geister.
Sie haben noch nie eine Fortsetzung gedreht. Bei „Männer“ haben Filmproduzenten Sie seinerzeit wahrscheinlich bekniet, dass Sie doch bitte eine machen sollten.
Die versuchen mich bis heute dazu zu überreden! Aber daran hatte ich nie Interesse. Weil mir zu den Figuren nichts Neues eingefallen ist. Das war für mich auserzählt. Vielleicht sollte ich jetzt mal wieder drüber nachdenken…
Warum haben Sie es dann diesmal getan?
Ich habe über die zehn Jahre gemerkt, wie sehr ich an diesen Figuren gehangen habe, an dieser Familie. Die haben mich nie losgelassen. Und hier hatte ich zwei Welten, die der Eltern und die der Kinder. Ich hatte zwar die Geschichte der Eltern zu Ende erzählt und ihren Blick auf die Kinder, aber mir wurde mehr und mehr klar, dass die Kinder doch vielleicht eine ganz andere Geschichte zu erzählen hätten, auch über die Eltern. Wobei ich finde, dass man den ersten Film nicht kennen muss, um Teil Zwei zu verstehen. Das bestätigen mir übrigens auch alle, die nur den zweiten Teil gesehen haben. Das ist wohl vor allem für mich eine Fortsetzung.
Was auffällt: Fast alle aus dem ersten Film spielen wieder mit. Aber ausgerechnet die jetzige Hauptfigur wird nicht mehr von Maximilian Brückner gespielt, sondern von Golo Euler. Wollte Brückner nicht mehr, wollten Sie nicht? Oder hatte das einen anderen Grund?
Wir haben beide sehr geweint, Maxi Brückner und ich. Weil er in einer Serie feststeckte in Lappland und es irgendwann klar war, dass er sich einfach nicht freimachen konnte. Aber wie das manchmal so ist, und beim Film sogar relativ oft, immer wenn etwas nicht klappt und man sich schier das Herz aus der Brust reißen will vor Trauer, passiert etwas anderes. Es war dann auch ein großes Glück, mit Golo Euler zu arbeiten.
„Hanami“ lief vor zehn Jahren auf der Berlinale. Warum jetzt nicht auch „Kirschblüten Dämonen“?
Tjaaa. Weil die Produzenten anderes mit dem Film vorhatten und vorhaben.
Worüber Sie aber nicht sprechen dürfen?
Worüber ich jetzt nichts sagen kann.
„Hanami“, „Erleuchtung garantiert“, „Der Fischer und seine Frau“, „Grüße aus Fukushima“ – Warum zieht es Sie immer wieder nach Japan? Was reizt Sie so an dieser Kultur?
Hach, wie soll ich das in aller Kürze beantworten!? Ich bin gleich mit meinem ersten Film „Mitten ins Herz“ nach Japan eingeladen worden. Und dieses Land traf mich wirklich ins Herz. Das war eine ganz außergewöhnliche Erfahrung, ich war völlig verloren – und habe mich dem lustvoll ausgesetzt. Aber auch aufs Geschichtenerzählen bezogen hat mich das immer fasziniert, weil die asiatische Weltsicht diese starken Grenzen zwischen Körper und Geist, zwischen fester Materie und beseelter Natur nie so fest gezogen hat wie unsere. Das ist dort alles sehr viel fließender und durchlässiger. Und das erlaubt eine ganz andere Art zu erzählen. Was real ist und was nicht, ist aus japanischer Sicht gar nicht die Frage. Alles ist möglich.
Was Sie im Film auch ins Allgäu tragen.
Das fasziniert mich an Japan wohl am meisten: dass die Welt so fundamental anders ist und andere Dinge dadurch möglich werden. Dass ich aber auch selbst dadurch in Japan immer eine Andere werde, weil ich mich selbst auch anders betrachten muss. Und das finde ich immer wieder interessant: zu fragen, was das bedeutet, wenn die Dinge nicht immer so klar definiert sind, wenn alles auch eine geisterhafte Natur haben kann. Selbst Haushaltsgeräte: ein beleidigter Computer, ein bockender Staubsauger. All diese Dinge sind möglich. Und der Ort, wo das für mich möglich ist, auch wenn ich nicht an Geister glaube, ist das Kino. Da ist alles möglich.
Dämonen verdrängen, Geister vertreiben, das sind wir dann auch bei der deutschen Fastnacht, die in Ihrem Film auch eine überraschende Rolle spielt.
Das war sogar die Anfangsidee. Seltsamerweise habe ich einmal in der „New York Times“ ein Foto gesehen von den Perchten aus Berchtesgarden. Ich hatte da gerade japanische Dämonen in Strohkostümen kennengelernt, da wurde mir klar: Das sind ja unsere. Wir haben ja selber welche! Aber das sind wirklich Verwandte der japanischen Dämonen.
Wenn man in Deutschland eine Geistergeschichte spinnt, landet man da automatisch auch bei der Nazi-Zeit? Die Dämonen, die uns nicht loslassen?
Jede Gesellschaft hat ihre historischen Dämonen. Japan hat auch seine faschistischen Dämonen, mit denen das Land fast gar nicht umgeht. Deutschland hat das zum Teil zu bewältigen versucht. Aber wir sehen ja gerade in der aktuellen Politik, dass diese Dämonen immer noch sehr präsent sind. Im Moment habe ich das Gefühl, dass wir uns immer mehr als ein Volk der Opfer verstehen wollen, wo wir doch ganz klar ein Volk der Täter sind. Dieses Ungenaue, Unhistorische, dieses Schwammigwerden und Unfaktische bei der eigenen Vergangenheit führt dazu, dass Dämonen plötzlich wieder sehr viel Kraft bekommen. Deshalb muss man sie ganz genau beobachten und ihre wahre Natur erkennen.
Immer wieder sind Ihre Filme Auseinandersetzungen mit Familien. War Ihre eigene so schwierig, dass Sie das immer wieder verarbeiten müssen?
(lacht) Genau das Gegenteil. Wir waren vier Geschwister und hatten zwei wirklich erstaunlich liberale Eltern. Ich habe mich immer sehr gewundert, dass es in Familien von Schulkameraden anders aussah, dass es da Einzelkinder und Scheidungskinder gab, viele Konflikte, viele Streitigkeiten, bis hin zu Erbschaftskriegen, das war sehr absonderlich für mich. Das Konfliktpotenzial Familie hat mich vielleicht deshalb immer so interessiert, weil ich in einer wirklich seltsam harmonischen Familie aufgewachsen bin.
Es gibt in Ihrem Film Teller mit Tiermotiven als Metaphern für die Rollen in der Familie. Welcher Tierteller würde Ihnen da zukommen?
Ein Wolpertinger. Das muss ich Ihnen wohl erklären, das ist ein bayrisches Fantasiewesen. Das sieht immer anders aus, hat z.B. das Maul eines Marders, die Ohren eines Fuchses und den Schwanz einer Katze. Ein abenteuerliches Mischwesen also.
In beiden „Kirschblüten“-Filmen geht es auch um Geschlechterbilder und -rollen. Elmar Wepper trug vor zehn Jahren den Kimono seiner Frau, jetzt trägt ihn auch der Sohn. Sollen auch da die Grenzen offener und fließender sein?
Rudi erkannte im ersten Teil seine Frau, wie sie vielleicht wirklich gewesen ist. Das ist noch mal etwas anderes jetzt im zweiten Teil, wenn der Sohn versucht, seine Rolle zu finden, keine festgeschriebene, sondern seine ur-eigene. Das ist, wie ich finde, die Aufforderung an jeden von uns: herauszufinden, wer wir wirklich sind, und das zum Blühen zu bringen. Dabei interessiert es mich schon sehr stark, inwieweit wir von Zuschreibungen leben: wie wir zu sein haben. Das fängt natürlich sehr früh, in der Familie, an. Es geht aber weiter, weil uns gesellschaftlich immer wieder eine Rolle zugeschrieben wird, wer wir sind, als Frauen und als Männer. Wenn ich mich selber definiere, denke ich doch nicht nur über mich als Frau nach. Aber ich werde ständig darauf hingewiesen. Das interessiert mich: wie wir gesellschaftlich festgenagelt werden auf bestimmte Erscheinungsformen und Rollenverhalten.
Wo wir bei Rollenbildern sind: Sie engagieren sich seit Jahren bei ProQuote für die Frauenquote im deutschen Film. Ist da jüngst durch die #MeToo- und Time’s-Up-Debatten mehr Bewegung hineingekommen?
Ja und nein. Es verändert sich punktuell. Insgesamt kann man aber noch nicht von einer Verbesserung sprechen. Im Kinobereich ist das so schlecht, wie es immer war. Ich bin, wie eigentlich alle Frauen, bei ProQuote nur zähneknirschend dabei. Weil ich eingesehen habe, dass sich nie was ändern wird, wenn wir das nicht selbst benennen. Als ich angefangen habe - das ist schon ein bisschen her, ,meinen ersten Film habe ich 1976 gemacht -, hätte ich geschworen, dass ich 2019 auf keinen Fall noch über Gleichberechtigung reden muss. Das ist doch erschütternd!
Ist die Filmbranche da besonders schwerfällig? Oder ist das bezeichnend für die ganze Gesellschaft?
Ich glaube, das ist nur Abbild einer gesamten Gesellschaftsstruktur, die sich nur mühsam verändern lässt. In manchen Berufsbereichen ist es schon besser als beim Film, warum, ist schwer zu sagen. Vielleicht weil es bei uns um viel Geld geht und Männer doch ein enges Verhältnis zum Geld haben, was schwer aufzulösen ist. Dass die MeToo-Debatte so sehr im Filmbereich aufgeflackert ist, hat natürlich mit dem Glamourfaktor zu tun und der interessanteren Sichtbarmachung des Problems. Aber was ich vermisse, ist, dass diese Diskussion weitergeführt wird bei den Gerichten, bei der Polizei, beim Militär, in allen beruflichen Bereichen. Das findet nicht statt. Und ich bin überzeugt, dass es auch da jede Menge zu klären gibt.
„Kirschblüten Dämonen“ startet einen Tag vor dem Frauentag. Ist das Zufall? Können Sie überhaupt etwas anfangen mit dem Tag?
(lacht) Der Film hatte seine Premiere an Weiberfasching. Das finde ich wichtig festzuhalten. Auch das ist purer Zufall, aber es passt so schön.