Kultur

Zum 300. Mal die "Dreigroschenoper"

| Lesedauer: 5 Minuten
Ulrike Borowczyk
Interview mit Christopher Nell in der Volksbühne, Linienstraße 228, am 21.12.2018. photo: David Heerde

Interview mit Christopher Nell in der Volksbühne, Linienstraße 228, am 21.12.2018. photo: David Heerde

Foto: David Heerde

Berliner Ensemble feiert die 300. Vorstellung der „Dreigroschenoper“. Ein Treffen mit Schauspieler Christopher Nell.

Mord, Raub, Entführung, Brandstiftung – es gibt kaum eine Untat, die Mac­heath noch nicht begangen hat. Besser bekannt als Mackie Messer, Bertolt Brechts ikonische Bühnenfigur, ist er der gefürchtetste Verbrecher Londons. Dennoch halten ihn die Damen für einen Gentleman, so smart, wie er daherkommt. Für Christopher Nell ist der janusgesichtige Mackie Messer eine absolute Traumrolle. „Die Figur bringt sehr viel mit sich, was einem Schauspieler Spaß macht“, weiß er und vergleicht den Mackie mit einem Panther. So brutal und gefährlich wie elegant.

Christopher Nell spielt den Mackie Messer seit 2015. Und zwar in einer der wohl außergewöhnlichsten Aufführungen von Brechts „Dreigroschenoper“ am Berliner Ensemble. Inszeniert von Robert Wilson. Seine Inszenierung aus dem Jahr 2007 ist mittlerweile legendär und nun in der 300. Vorstellung zu sehen. Der Kultstatus ist für Christopher Nell wenig verwunderlich: „Das Stück und Robert Wilson in Kombination, das war ein guter Griff.“

Für Nell muss man das Stück aus jeglichem Realismus herausnehmen, es ins Absurde entfremden. Quasi zusätzlich zum Verfremdungseffekt, den Brecht ohnehin schon gezielt nutzt, um ein Spannungsfeld zwischen Schauspielern und Zuschauern zu schaffen. „Der formale Ästhet Robert Wilson bringt einen eigenen V-Effekt mit, der gut zu diesem Brecht-Werk passt“, erklärt Christopher Nell.

Den Part wollte er schon im Schultheater spielen

Inspiriert von der britischen „Beggar’s Opera“ von John Gay aus dem Jahr 1728, steht der Machtkampf zwischen dem smarten Straßenräuber Macheath und dem gerissenen Bettlerkönig Peachum im Zentrum von Brechts bis heute erfolgreichstem Werk. Obwohl die „Dreigroschenoper“ im kriminellen Milieu Londons im viktorianischen England spielt, ist sie eine Satire auf die bürgerlich-kapitalistische Welt Ende der 20er-Jahre. Die Paarung aus bissiger Gesellschaftskritik und gewitzter Fabel mit den weltberühmten Kompositionen von Kurt Weill brachte den beiden 1928 den Durchbruch.

In seiner Inszenierung lässt Robert Wilson, der Magier der Verfremdung, die Schauspieler mit weiß geschminkten Gesichtern und expressiver Mimik auftreten. Ursprünglich spielte Stefan Kurt den Mackie Messer. Christopher Nell hatte anfangs einen Part in dessen Bande. Für ein Gastspiel in Brasilien fragte Robert Wilson ihn 2015, ob er Macheath spielen würde. Er wollte. Schließlich hätte er den Mackie Messer schon zu Schulzeiten gern gemimt.

Geboren 1979 in Kaufbeuren im Allgäu, spielte Nell bereits mit sechs Jahren im Kinder- und Jugendtheater. Geprobt wurde eine Inszenierung pro Jahr. Als die „Dreigroschenoper“ auf dem Plan stand, war er nach eigenem Bekunden ziemlich sauer, dass er den Mackie nicht spielen durfte. Damals war er 15 Jahre alt. Umso erfreuter war er, dass Wilson ihm die Rolle anbot. Endlich, sozusagen. Zunächst spielte er noch alternierend mit Stefan Kurt. „Ich fand seinen Mackie großartig. Da wir völlig unterschiedliche Typen sind, haben wir aus der Rolle eine komplett andere Figur entwickelt“, sagt er.

Brecht traf den Nerv der Weimarer Republik. In unserer globalisierten Zeit mit ihren zahlreichen humanitären Katastrophen ist die „Dreigroschenoper“ für Christopher Nell jedoch so aktuell wie nie. Vor allem wenn es um Arm und Reich und den steten Verteilungskampf geht. „Ein ewiges Stück mit neuer Bedeutung. Man darf es nur nicht zu moralbelastet rüberbringen. Je unterhaltsamer es mit seiner tollen, wuchtigen Musik gemacht wird, desto mehr kristallisieren sich die scharfen Worte und Themen heraus“, findet Christopher Nell.

Der 39-Jährige tourt auch als Sänger

Die Songklassiker aus der Feder von Kurt Weill wie die „Moritat von Mackie Messer“ oder die „Ballade vom angenehmen Leben“ bereiten ihm besonderes Vergnügen. Schließlich ist der 39-Jährige nicht nur Schauspieler, sondern auch Sänger. Mit seinem preisgekrönten Gesangstrio „Muttis Kinder“ tourt er seit 15 Jahren deutschlandweit und in aller Welt. Zu erleben wieder im Mai an fünf Abenden in der Bar jeder Vernunft.

Auch mit der „Dreigroschenoper“ ging es für ihn rund um den Globus auf Gastspielreise. Den Mackie Messer hat er das letzte Mal allerdings vor vier, fünf Monaten gegeben. Seither ist einiges passiert. Christopher Nell ist gerade Vater eines Sohnes geworden. Das ändert den Blickwinkel. Auch auf der Bühne. Für ihn ein Glücksfall, dass die „Dreigroschenoper“ immer noch ein Publikumshit ist. Die lange Laufzeit hat das Ensemble zusammengeschweißt.

Regisseur Wilson freut sich ebenfalls darüber, wie er in einem Statement verrät: „Die Möglichkeit zu haben, dieses Stück an dem Theater zu inszenieren, an dem es seine Uraufführung feierte, war ein Höhepunkt meiner Karriere. Ich bin so glücklich über die 300. Vorstellung. Gratulation an die Schauspieler und die Crew!“ Das Berliner Ensemble feiert dieses Jubiläum mit einer Party im Anschluss an die Vorstellung. Dann legt Lars Eidinger auf, der bekanntlich gerade Brecht gespielt hat. Im Film „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“.

Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte Tel. 28 40 81 55 Termine: 28.–30.12. & 1.1. um 19 Uhr, 31.12. um 18 Uhr (ausverkauft)